Der Techniker der Zukunft ist Brillenträger
12. Juli 2019Was haben Faxgerät, Flachbildschirm, Handy, Bluetooth, Bildtelefonie, Spracherkennung, Touchscreen, iPads und Amazon Echo gemeinsam? Alles sind technische Innovationen, die in der StarTrek-Reihe schon Jahrzehnte vor ihrer Entwicklung und Marktreife „genutzt“ wurden und die für uns heute selbstverständlich sind. Auch eine dreidimensionale Projektion von Bildern im Raum kam in der SciFi-Serie schon vor. Höchste Zeit also, dass die computergestützte Erweiterung der menschlichen Wahrnehmung – auch Augmented Reality (AR) genannt – Eingang in Service und Instandhaltung findet. Einsatzmöglichkeiten und Beispiele von ersten Anwendungen in der Industrie gibt es schon einige.
Einfache Augmented Reality-Anwendungen, die die Realität durch Computerunterstützung erweitern, gibt es in verschiedenen Branchen bereits seit längerem. Dazu zählen zum Beispiel Head-up-Displays im Cockpit von Flugzeugen oder in Autos, sowie die Einblendung von Entfernungen oder Markierungen bei Sportübertragungen. Komplexe AR-Anwendungen ermöglichen zudem noch eine Interaktion in Echtzeit, bei der reale und virtuelle Dinge in einem dreidimensionalen Bezug zueinanderstehen.
Die Erweiterung der Realität muss aber nicht nur auf visuelle Informationen begrenzt sein. Theoretisch können dabei auch andere Sinneswahrnehmungen eingebunden werden. Je mehr Sinne beim Anwender durch eine erweiterte Realität angesprochen werden, desto mehr taucht er in eine virtuelle Realität ein. Die Übergänge dieser „gemischten Realität“ (Mixed Reality) – also des Zusammenspiels von realer und virtueller Welt – sind hier fließend.
Ein Virtual Reality Headset erlaubt das völlige Eintauchen in eine andere, virtuelle Welt. Hier gibt es keinen Bezug mehr zur realen Welt. Mit speziellen Eingabe-Hilfen wie einem Datenhandschuh kann der Anwender auch mit der virtuellen Welt interagieren und das Erlebnis noch deutlich intensivieren.
Die meisten der heutigen Anwendungen konzentrieren sich allerding auf die visuelle Darstellung von Informationen, da diese mit den gängigen Endgeräten am einfachsten umzusetzen sind und Informationen sich darüber am besten darstellen lassen. Rein virtuelle Anwendungen sind im Bereich Service und Instandhaltung – außer für Schulungen – eher die Ausnahme – geht es doch darum, reale Maschinen oder Geräte zu reparieren oder Instand zu halten.
Dafür braucht der Anwender ein Endgerät, das sowohl über einen Bildschirm als auch über eine Kamera verfügt, also ein Smartphone, Tablet oder auch ein AR-Brille. Der Vorteil von Smart Glasses: Der Nutzer hat beide Hände frei, kann somit uneingeschränkt agieren und sich gleichzeitig virtuelle Zusatzinformationen oder Anleitungen einblenden lassen.
AR-Anwendungen in Service und Instandhaltung
Nach dem aktuellen VDMA IT-Report 2018 bis 2020 ist Virtual oder Augmented Reality für rund 70 Prozent der deutschen Maschinenbau-Unternehmen ein relevantes Thema. Mit 20 Prozent nimmt dabei der Service den größten Anwendungsschwerpunkt ein. Die Palette der Einsatzmöglichkeiten für Techniker, die eigene oder Maschinen von Kunden warten oder reparieren, ist breit:
- Augmented Reality-Unterstützung von Technikern: Weiß ein Techniker bei einem Auftrag nicht weiter, kann er aus seiner mobilen Software zur Auftragsabwicklung eine Augmented Reality-Anleitung abrufen. Diese blendet die interaktiven Inhalte mit verständlichen Handlungsanleitungen über Smartphone, Tablet oder Datenbrille ein. Auch Checklisten für Wartungen bzw. Begehungen lassen sich darüber abbilden und deren Fortschritt dann über die mobile Auftragsabwicklungs-Software dokumentieren. Besondern hilfreich ist dies, wenn Techniker große Anlagen warten müssen, bei denen die Lokalisierung der einzelnen Wartungspunkte zeitaufwändiger als die Wartung selbst ist. Hier kann die AR-Anleitung helfen, den Prozess zu beschleunigen und den Techniker zu entlasten. Zu den Vorreitern auf diesem Gebiet gehört ThyssenKrupp Aufzüge. Bereits 2016 zeigte das Unternehmen in einem Video, wie sich Aufzugstechniker zukünftig mit Hilfe einer Hololens vor der Anfahrt zum Kunden über einen Auftrag informieren und vor Ort ihre Aufträge schneller und kompetenter durchführen können, weil sie alle relevanten Informationen über die Datenbrille eingeblendet bekommen.
- Augmented Reality-Anleitung von Kunden: Auch auf Kundenseite kann Augmented Reality genutzt werden. Statt einen Techniker zu rufen, kann ein Kunde, der über gewisse Fachkenntnisse verfügt, Reparaturen oder Wartungen mit einer Anleitung zum Beispiel mit Hilfe seines Smartphones durchführen. Dies spart Zeit und Kosten und motiviert die eigenen Mitarbeiter. Ist eine Wartung oder Reparatur von einem zertifizierten Techniker zum Beispiel aus Sicherheitsgründen vorgeschrieben, kann der Maschinenführer oder Kunde dem Servicetechniker oder Instandhalter vorab das Problem via AR zeigen, so dass dieser bei der ersten Anfahrt das richtige Ersatzteil mitbringen kann.
- Entstörung mit Augmented Reality-Video: Endkunden oder auch Techniker nutzen heute die Anleitung von Experten per Telefon, um ein Problem zu lösen. Bei komplexeren Anlagen oder Problemen kann dies langwierige Erklärungen erfordern, da der Experte das Gerät nicht sieht und dem Kunden oder Techniker nicht einfach zeigen kann, was zu tun ist. Mit einem Video Call, den der Techniker aus seinem Smartphone, Tablet oder auch seiner Datenbrille startet, sieht der Remote Experte das Problem live vor Ort. Dieser kann dem Techniker mit Unterstützung einer 3D-Anleitung, die er in das Blickfeld des Technikers projiziert, erklären und zeigen, welche Handgriffe er tätigen muss, um das Problem zu lösen. Auf diese Weise lassen sich Probleme deutlich schneller und mit einem geringeren Fehlerpotenzial lösen.
- Virtuelle Schulungen: Anlagen und Maschinen werden immer komplexer und damit auch ihre Wartung und Reparatur. Unternehmen haben immer mehr Schwierigkeiten, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Die Schulung neuer Kollegen und die kontinuierliche Weiterbildung von Mitarbeitern bedeutet für Unternehmen einen hohen Aufwand an Zeit und Kosten. Virtuelle Lernsimulationen können neue Kollegen oder Subunternehmer auf bestehende Anlagen oder Geräte schulen oder auch auf völlig neue Maschinen. Dies spart nicht nur Zeit und Kosten für Trainer, sondern ermöglicht interaktive Schulungen unabhängig von Raum und Zeit, ebenso wie ein individuelles Lerntempo und beliebige Wiederholungen. Die neue Technologie kann auch eine zusätzliche Motivation für die Lernenden sein. All diese Faktoren tragen zu einer optimierten Lernerfahrung bei, die in einem besseren Lernergebnis resultiert: Die neuen Kollegen lernen schneller, behalten das Gelernte besser und machen weniger Fehler bei der Anwendung.
Nutzen von AR für Unternehmen und Techniker
Unternehmen und Techniker profitieren in vielerlei Hinsicht von Augmented Reality-Anwendungen in Service und Instandhaltung:
- Besserer Arbeitsschutz: Techniker warten und reparieren oft Maschinen oder Anlagen, die sehr komplex sind und ein hohes Unfallrisiko bergen. Digitale Assistenzsysteme ersetzen Sicherheitshinweise auf Papier und stellen sicher, dass der Techniker diese gelesen hat, bevor er mit seiner Arbeit beginnt. Zudem sind sie einfach zu aktualisieren und an spezifische Anlagen anzupassen. Dies senkt das Unfallrisiko deutlich.
- Höhere Prozesssicherheit: Eine Augmented-Reality-Anleitung für einen Techniker legt genau fest, in welcher Reihenfolge er die einzelnen Arbeitsschritte durchzuführen hat und gibt ihm zudem Feedback, ob er diese korrekt ausführt. Damit trägt Augmented Reality zur Prozesssicherheit im Service und in der Instandhaltung bei, senkt das Fehlerrisiko und verlängert die Lebensdauer von Anlagen und Maschinen.
- Zeitersparnis: Wenn der Techniker durch die AR-Anleitung genau weiß, welche Handgriffe er wo genau zu tun hat und dies nicht erst in Handbüchern nachlesen muss, ist er entsprechend schneller mit seinem Auftrag fertig. Erste Pilotprojekte berichten von 20 bis 30 Prozent Zeitersparnis durch den Einsatz von Augmented Reality im Bereich Service und Instandhaltung.
- Kostenreduktion durch Produktivitätssteigerung: Kann der Techniker seine Aufträge durch AR-Unterstützung schneller und besser erledigen, bedeutet dies auch eine Steigerung der Produktivität. Durch fallen auch weniger Zweitanfahrten an, was die First-time-fix-rate verbessert. Bis zu 30 Prozent Kosten lassen sich dadurch einsparen.
- Höhere Verfügbarkeit von Anlagen: Eine schnellere und effizientere Wartung oder Reparatur von Anlagen in der Fertigung bedeutet kürzere Stillstandzeiten und eine höhere Anlagenverfügbarkeit.
- Verbesserung der Kundenzufriedenheit: Über schnellere Wartungen, Reparaturen und weniger Zweitanfahrten freuen sich auch die Kunden. Sie haben kürzere Ausfallzeiten und dadurch weniger Aufwendungen. Dies steigert die Kundenzufriedenheit langfristig.
- Unterstützung bei Fachkräftemangel: Digitale Assistenzsysteme können Engpässe bei Fachkräften abmildern bzw. ausgleichen. Sie können neue oder weniger gut ausgebildete Mitarbeiter oder Subunternehmer, die Maschinen und Anlagen noch nicht so gut kennen, unterstützen.
Es bestehen allerdings auch Herausforderungen beim Einsatz von AR-Anwendungen:
- Datenschutz bei Aufzeichnungen: Unternehmen müssen auch AR-Aufzeichnungen entsprechend der DSGVO handhaben. Das heißt, dass sie genau festlegen müssen, was und welche Personen aufgezeichnet werden dürfen und wann die Aufzeichnungen gelöscht werden müssen. Wenn zum Beispiel für eine Sequenz in einer Produktionshalle Mitarbeiter im Hintergrund aufgezeichnet werden, sollten diese entsprechend unkenntlich gemacht werden.
- Einschränkungen von Datenbrillen: Die aktuelle Generation von Datenbrillen weist noch einige Kinderkrankheiten auf. Zum einen sind sie noch relativ schwer und unbequem zu tragen. Auch die optimale Darstellung der Inhalte bereitet noch Probleme, besonders wenn es um die Nachführung von bewegten Bildern geht. Zudem limitieren die Akkulaufzeiten von ein bis zwei Stunden momentan noch den Einsatzzeitraum. Deswegen sind Smartphones und Tablets aktuell noch die besseren Alternativen im Einsatz von AR-Anwendungen. Zudem sind sie meist schon verfügbar und müssen nicht extra angeschafft werden, was besonders beim Einsatz mit Kunden eine Rolle spielt. Mit iOS 12 und dem im September 2018 eingeführten A12 Bionic Chip für die aktuellsten iPhones und iPads setzt Apple neue Standards für AR-Anwendungen. Auch Google liefert mit seinem ARCore die Grundlage, AR-Erfahrungen durch Motion Tracking und eine Analysierung der realen Lichtverhältnisse virtuelle Bilder noch realistischer darzustellen.
- Komplexe Konvertierung von CAD-Daten: Zur Erstellung von AR-Anwendungen sind meist entsprechende 3D-Produktdaten erforderlich. Diese Daten sind in der Regel in Unternehmen bereits vorhanden, liegen aber meist in einem CAD/ Industriedatenformat vor, welches für AR-Anwendungen nicht geeignet ist. Zudem lassen sich diese Formate auch nicht einfach auf mobilen Endgeräten mit geringer Rechenleistung darstellen. Die Datenkonvertierung in Visualisierungsprogramme für AR-Anwendungen ist relativ komplex. Bei der Umwandlung können Informationen verloren gehen, was eine manuelle Kontrolle und eventuelle Korrektur unabdingbar macht. Doch es geht auch ohne 3D-Produktdaten: Mit digitalen Ablaufplänen, die die einzelnen Arbeitsschritte per Video zeigen und die mit virtuellen Hilfestellungen wie Pfeilen oder Markierungen angereichert sind, kann der Techniker Fehlerdiagnosen, Instandsetzungen oder Begehungen sicher und korrekt ausführen.
- Augmented Reality ersetzt den Menschen (noch) nicht: Augmented Reality-Anwendungen können sehr hilfreich für Techniker sein, doch können sie kompetente Trainer oder Techniker nicht komplett ersetzen. So können sie zwar gelernte Abläufe wiedergeben und beurteilen, ob deren Nachahmung richtig oder falsch ist. Sie können aber nicht erklären, warum etwas falsch ist. Deswegen sollte man sie – zumindest was den heutigen Stand betrifft – als Ergänzung und Unterstützung und nicht als Ersatz für den Menschen sehen.
Durchbruch in den nächsten Jahren erwartet
Nach dem Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies 2018 ist Augmented Reality nun in der Talsohle angekommen. Dies bedeutet, dass nach der Hype- und Ernüchterungsphase nun der lange Weg bevorsteht, auf dem sich die Technologie zu Anwendungen entwickelt, die ihre Marktreife und ihren breiten Einsatz in fünf bis zehn Jahren erreichen werden.
AR-Anwendungen in Service und Instandhaltung können der Technologie in den nächsten Jahren zum Durchbruch verhelfen. Den etablierten Unternehmen hilft Augmented Reality auf der anderen Seite, innovativ zu bleiben und ihren Kunden einen State-of-the-Art-Service zu bieten.
Hannes Heckner ist Gründer und CEO der mobileX AG.