Full Outsourcing ist vorbei – doch wie sieht der goldene Mittelweg aus?Erfolgreiche Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern
28. Februar 2023Durch den anhaltenden Digitalisierungsdruck waren Unternehmen gezwungen, zunehmend wichtige Teile ihrer Digitalisierungsaktivitäten durch Outsourcing zu erfüllen. In vielen Fällen wurden sogar ganze Projekte und Bereiche an Partner vergeben („Full Outsourcing“). Nun werden Rufe nach mehr Kontrolle und zunehmendem Insourcing laut. Beides hat seine Vor- und Nachteile und wie immer liegt die optimale Lösung irgendwo dazwischen – gerade im Mittelstand. Das Konzept der Mixed Teams ist hier ein vielversprechender Ansatz.
Full Outsourcing, also die vollständige Übergabe der IT-Verantwortlichkeit in die Hände eines Dienstleisters, war in den vergangenen Jahren ein beliebtes Phänomen. Das Versprechen: Der spezialisierte IT-Service-Provider kümmert sich um den Aufbau und die Pflege der IT-Infrastruktur und entwickelt (Cloud-) Applikationen und Services, die das Unternehmen für seine digitale Transformation benötigt. Dadurch sollten die ohnehin schon zu knappen internen Ressourcen die Chance erhalten, das Kerngeschäft und die Business-Transformation zu fokussieren.
Doch die Rechnung geht nicht auf, denn es wird zunehmend klar, dass sich eine Trennung von IT und Business heute kaum noch realisieren lässt. Neue Geschäftsmodelle sind unweigerlich mit der Digitalisierung verbunden und der Wunsch nach einer eigenen starken IT dringt aus dem Management in die IT-Fachabteilungen. Dort solle man verstärkt eigene digitale Produkte entwickeln und bestehende Prozesse optimieren.
Zudem werden die Schattenseiten der Abhängigkeit von Dienstleistern deutlich, vor allem in Zeiten omnipräsenter Cyberattacken. Ist der Full-Outsourcing-Dienstleister betroffen, steht auch die Infrastruktur des Unternehmens still – ohne die Möglichkeit, den Betrieb selbst wieder aufzunehmen. Gerade die letzte Einsicht, nämlich dass der Betrieb der Infrastruktur sowie der Anwendungen entscheidend ist, hat dabei einiges an Gewicht: So lässt sich heute zwar vieles im IT-Betrieb automatisieren, doch am Ende braucht es eine verantwortliche Person im Unternehmen, die den Überblick behält und für Nachhaltigkeit sorgt. Eine IT als „Backbox“ kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten.
Ist Insourcing im Mittelstand überhaupt realistisch?
Unternehmensgrößen wie die Deutsche Bahn, Volkswagen oder Mercedes sind daher dazu übergegangen, die eigenen IT-Teams massiv aufzustocken und eigene IT-Tochterfirmen hochzuziehen. Hier handelt es sich gut und gerne um 10.000-15.000 Beschäftigte, die selbst etablierten IT-Dienstleistern in Sachen Headcount und Expertise kaum nachstehen. In der Konsequenz wurden langjährige IT-Outsourcing-Deals nicht verlängert oder beendet und man holt sich den Großteil der Verantwortung zurück ins eigene Haus.
Im Mittelstand dagegen ist dieses Vorgehen keine Option. Weder die finanziellen Mittel noch die Attraktivität als Arbeitgeber im Digital- und Software-Bereich sind hier groß genug, um im aktuellen Arbeitnehmermarkt ausreichend Talente zu gewinnen. Außerdem fehlt in der Regel das Fachwissen, um Prozesse der modernen IT-Entwicklung initial aufzusetzen und zu begleiten – mit einem Crashkurs in “Agile”-Development für den IT-Leiter ist es hier nicht getan. Und natürlich muss auch das laufende Geschäft im Blick behalten werden: Wie stelle ich sicher, dass meine Entwicklungsgeschwindigkeit nicht unter den Insourcing-Bestrebungen leidet?
Daher ist es in mittelständischen Unternehmen ratsam, nicht sofort sämtliche Beziehungen zum eigenen Dienstleister zu kappen. Gleichwohl sollte kritisch überprüft werden, welche Partnerschaften zukunftsfähig sind. Diese gilt es dann strategisch aufzubauen und zu fördern. Denn der effiziente Einsatz der Ressourcen des Dienstleisters kommt schließlich beiden Partnern zugute.
Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit
Damit die effiziente Steuerung des Dienstleisters jedoch erfolgen kann, müssen viele mittelständische Unternehmen selbst erst einmal auf ein fundiertes IT-Wissensniveau gelangen – ganz davon abgesehen, dass dies die Voraussetzung dafür ist, um die eigenen digitalen Produkte erfolgreich am Markt zu platzieren. Denn nur wenn man sein eigenes Produkt auch technisch versteht und entsprechende Rückfragen der Kunden (beispielsweise hinsichtlich der Integration) ohne die Hilfe seines Dienstleisters adäquat beantworten kann, setzt man sich mit seinen Lösungen auch durch.
Hier sind gemeinsame Projekte mit dem bestehenden IT-Dienstleister gut geeignet, um schnell Wissen aufzubauen. Begleitet werden sollte dieser Wissensaufbau jedoch stets durch dedizierte Trainings und Schulungen, sei es nun beispielsweise durch Schulungsangebote der Cloud-Anbieter oder eben durch den Service Provider.
Der nächste Schritt knüpft daran an und betrifft die Zusammenarbeit mit Blick auf die konkrete Entwicklung. Wenn hier Projekte von außen in die Unternehmen geholt werden sollen, empfiehlt es sich, auf “Mixed Teams” zu setzen, bei denen interne und externe Ressourcen im agilen Co-Development an Projekten arbeiten. Hierbei ist es entscheidend, dass die Verantwortlichkeiten und Rollen von vornherein klar definiert werden: Auch wenn alle beteiligten Personen auf den gleichen Backlog zugreifen können, gibt es doch Abgrenzungen hinsichtlich der Hierarchie, der dedizierten Domänen und Themen.
Zudem muss klar sein, dass dieser Schritt zunächst auch erst einmal ein Investment bedeutet, denn es entstehen Redundanzen: Sowohl der Dienstleister als auch die internen Entwickler schreiben am gleichen Code. Bei richtiger Moderation sowie intensivem Austausch ist diese Phase jedoch nach acht bis zwölf Wochen abgeschlossen und die internen Teams können eigenständig weiterlaufen. Am Ende erhöht sich dann die Teamstärke auf dem Backlog und man nähert sich der ursprünglichen Entwicklungsgeschwindigkeit wieder sukzessive an. Ein weiterer Vorteil: Wenn das interne Team in der Lage ist, den Betrieb sowie die Fortentwicklung von Kernanwendungen selbst zu stemmen, kann sich der Dienstleister auf komplexere Fragestellungen konzentrieren und seine Stärken gewinnbringender einsetzen.
Im dritten Schritt geht es schließlich darum, die internen Ressourcen weiter auszubauen, sprich neue Talente zu gewinnen. Auch hier spielt der Dienstleister eine wichtige Rolle. Mittelständische Unternehmen gelten per se nicht immer als attraktive Arbeitgeber für Entwickler, denn neben dem Gehaltsaspekt ist vor allem die Furcht groß, dass man für sämtliche IT-bezogenen Tätigkeiten zuständig ist.
Dieser Sorge können Unternehmen entgegenwirken, indem man von vornherein klarmacht, dass der IT-Dienstleister stets als Sparringspartner zur Seite steht. Hat dieser dann noch eine entsprechende Reputation, etwa für seinen Tech-Stack oder bestimmte IT-Expertise, so wird der Dienstleister selbst zum attraktiven Asset für Bewerber.
Kontrolle durch Engagement
2023 wird zeigen, dass Full Outsourcing in der IT keine Zukunft hat. Damit dabei gerade im Mittelstand die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht auf der Strecke bleibt, müssen Unternehmen auf Basis der Expertise von Providern und Partnern ihre Kompetenzen aufbauen. Mixed Teams ist dabei ein Ansatz, der den Bedürfnissen mittelständischer Unternehmen am ehesten gerecht wird und für eine langfristige Symbiose sorgt.
Entscheider sollten sich zeitnah mindestens ein Projekt heraussuchen, dass strategische Relevanz für die Digitalisierung besitzt und es zulässt, den Mixed-Teams-Ansatz zu verproben und notwendige Budgets und geeignete Partner zu finden.
Maximilian Hille ist Head of Consulting bei Cloudflight.