Offshoring nach Indien als Outsourcing-Alternative Team vor Ort als der Königsweg
10. November 2015Es gibt zahllose Beispiele für ein IT-Outsourcing in Länder wie Indien, bei denen sehr viel Lehrgeld bezahlt werden musste und schlussendlich die Projekte sogar gescheitert sind. Doch das muss nicht sein, denn die meisten dieser Projekte schlagen fehl, weil entweder die innere Einstellung, die Erwartungshaltung oder die Vorbereitung mangelhaft war, oder weil das falsche Outsourcing-Modell gewählt wurde. Dabei stellt sich eine wichtige Frage: Welches Outsourcing-Modell eignet sich für den Mittelstand?
Motivation
Die Motivation ist meist dieselbe: Fachkräfte in Deutschland sind rar, teuer und in der Regel schlecht verfügbar. Oft lässt es sich nicht vermeiden, dass ein Headhunter eingeschaltet werden muss. Damit sind schon die ersten 10.000 Euro verbraten. Hat man dann endlich einen geeigneten Kandidaten gefunden, muss man dessen Kündigungsfristen beachten, die oft im Bereich von 6 Monaten liegen. Zudem werden für ein etwas größeres Projekt meist mindestens 3 bis 4 Personen benötigt – da sind schnell Unsummen verbraucht, bevor das eigentliche Projekt überhaupt begonnen hat. Eine Alternative in Form eines Outsourcing nach Indien erscheint da schnell als gangbarer und kostengünstiger Ausweg. Aber Vorsicht: Unternehmen sollten sich darüber im Klaren sein, was auf sie zukommt. Eine intensive Vorbereitung tut Not und zudem gehört das für das Unternehmen richtige Modell ausgewählt.
Zunächst sollte ein Unternehmen unbedingt ein „Cultural Training“ besuchen. Dort wird vermittelt, wie man Indien und Inder zu verstehen hat, wie ihre Verhaltensweisen vorherzusehen und zu interpretieren sind. Dabei kann man auch erfahren, was die zukünftigen Mitarbeiter von einem erwarten. Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns wird dadurch bereits um einige Grade reduziert.
Mittelstandsmodelle
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet: Welches Outsourcing-Modell eignet sich für den Mittelstand? Wenn hier der Begriff „Mittelstand“ fällt, geht es nicht um die mittleren und großen Unternehmen. Gemeint sind vielmehr Agenturen und Softwarehäuser in der Größenordnung von 10 bis 100 Mitarbeitern. Bei Endanwendern, die eine individuelle Software benötigen, bezieht sich diese Angabe auf deren IT-Abteilung.
Viele Mittelständler neigen dazu, Modelle ihrer großen Kunden nachzuahmen. Deutsche DAX-Unternehmen haben meist Projekte mit großen indischen Dienstleistern wie Infosys, Wipro, TCS oder Satyam. Davon kann man kleineren Unternehmen nur abraten. Und abraten möchte man auch von kleineren indischen Dienstleistern, die einem „schlüsselfertige“ Projekte anbieten.
Speziell bei den Mehrkosten und Projektverzögerungen muss man dem Problem auf den Grund gehen. Dazu benötigt ein Unternehmen bereits im Vorfeld eine möglichst detaillierte Projektdokumentation, um überhaupt ein aussagefähiges Angebot zu erhalten. Je genauer diese ist, umso weniger Hintertürchen für Mehrkosten können entstehen. Allerdings bedeutet dies für einem auch eine sehr aufwändige Vorarbeit. Und eines sollten sich ein Unternehmen sicher sein: Während der Laufzeit des Projektes gibt es noch genügend Unklarheiten und Zusatzwünsche, die unweigerlich zu teils erheblichen Mehrkosten und Projektverzögerungen führen. Denn eine schlüsselfertige Vergabe ist für ein Individualprojekt selten sinnvoll und unkalkulierbar.
Wenn ein Unternehmen dann ein aussagefähiges Angebot erhalten hat und sich für einen Dienstleister entscheidet, wird es feststellen, dass es meist zwei Ansprechpartner gibt: Einen für technische Details (project leader) und einen für das Finanzielle (project manager). Meist erfahren das auftraggebende Unternehmen überhaupt nicht, wer genau und wie viele Personen mit wie viel Einsatz an dem betreffenden Projekt arbeiten. Das verstehen die „project leaders“ zu verschleiern.
Das Ergebnis: Alle Anforderungen und Anweisungen gehen durch mehrere Stufen, bevor sie umgesetzt werden. Das führt zwangsläufig zu Missverständnissen, Verzögerungen und Fehlern. Zudem arbeiten häufig wechselnde Personen am Projekt, was zu unterschiedlichen Qualitätsstufen, Dokumentationen und Codestrukturen führen kann. Dies wirkt sich später negativ auf die Wartbarkeit der Software aus.
Team vor Ort
Als Königsweg empfiehlt es sich, ein eigenes Team vor Ort aufzubauen. So etwas nennt sich dann womöglich „ODC“, also „Offshore Development Center“, oder „DIS“ – „Dedicated IT-Staffing“ oder ähnlich. Eine einheitliche Bezeichnung gibt es dafür nicht. Bei diesem Modell kennt man alle Mitarbeiter, die an dem betreffenden Projekt arbeiten. Es ist deren Erfahrungshorizont bekannt und man weiß, an welchen Projekten sie in der Vergangenheit gearbeitet haben. Dadurch lassen sich zumindest deren Fähigkeiten grob einschätzen: denn das auftraggebende Unternehmen stellen seine Mitarbeiter sozusagen selbst ein.
Außerdem besitz man die Oberhoheit über das gesamte Projekt. Es ist nicht erforderlich, dass bereits zu Beginn sämtliche Einzelheiten geklärt sind. Das auftraggebende Unternehmen kommunizieren täglich mit seinen indischen Mitarbeitern (z.B. via Skype), prüft den Projektfortschritt und gibt Anweisungen für die nächsten Arbeiten. Man arbeitet also mit diesen Mitarbeitern genauso, wie mit den Mitarbeitern im eigenen Haus. Dabei kommt einem ein Standort in Indien entgegen: Der Zeitunterschied beträgt lediglich 3,5 Std. (im Winter 4,5 Stunden). Arbeitsbeginn und -Ende ist in Indien meist nach hinten verschoben, sodass man nahezu deckungsgleiche Arbeitszeiten hat.
Doch die Infrastruktur wird von einem Dienstleister zuverlässig zur Verfügung gestellt. Dieser nimmt einem auch die gesamte Bürokratie ab. Er sorgt für die Personalbeschaffung (meist ohne zusätzliche Head-Hunting-Kosten), stellt „die Mitarbeiter“ an, zahlt die Gehälter und Gehaltsnebenkosten pünktlich und sorgt für ein angenehmes Arbeitsklima vor Ort. Da die neuen Mitarbeiter weiter in Indien arbeiten, zahlen das auftraggebende Unternehmen nur die günstigen indischen Gehälter. Der Dienstleister fakturiert diese ohne Aufpreis zuzüglich einer Infrastrukturpauschale.
Natürlich besteht, genau wie bei neuen Mitarbeitern in Deutschland, immer das Risiko, dass ein neuer Mitarbeiter doch nicht den Ansprüchen genügt. In diesem Fall kann man mit einer Frist von 3 Monaten kündigen und der indische Dienstleister besorgt einem einen geeigneten Ersatz. Kommt man mit der Konstellation überhaupt nicht klar, z.B. weil man feststellen muss, dass die Verständigung nicht klappt, dann lässt sich auch der gesamte Vertrag nach drei Monaten kündigen. Das finanzielle Risiko ist auf jeden Fall geringer als eventuelle Vorlaufkosten beim Projekt-Outsourcing.
Günter Wiskot
ist Geschäftsführer BLAFOC Black Forest Consulting GmbH.
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