Im Gespräch mit Paulo Rosado, CEO und Gründer von OutSystems„Wer Agilität will braucht Low-Code, der sich für unternehmenskritische Anwendungen eignet“
25. November 2021Bestehende Lieferketten reißen, Innovationszyklen werden immer kürzer – das hat zur Folge, dass viele Kernanwendungen eines Unternehmens umgebaut werden müssen. Doch traditionell steht die schnelle Veränderbarkeit der Logik nicht im Pflichtenheft dieser Applikationen. Nach Einschätzung von Paulo Rosado, dem CEO und Gründer von OutSystems, brauchen die Verantwortlichen vor dieser Herausforderung nicht kapitulieren.
Unternehmen dürfen sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, wenn sie erfolgreich bleiben wollen. Diese Aussage trifft heutzutage mehr zu denn je. Doch wer sich die Kernanwendungen in einem Unternehmen ansieht, der wird nur eine geringe Dynamik erkennen. Typische Zeitspannen für einen Systemaustausch liegen zwischen fünf und sieben Jahren, wenn es hoch kommt, stehen bis zu viermal im Jahr neue Releases für eine Aktualisierung bereit.
Sieht man sich dagegen große Portale oder Mobilapplikationen mit Backend-Anbindung an, kommt man sogar auf täglich Änderungen in der Anwendung. „Das ist nicht mehr zu vergleichen mit den Legacy-Anwendungen und ihrer monolithischen Architektur“, bringt es Rosado auf den Punkt. „Somit bleibt in letzter Konsequenz, dass man sich den Kernapplikationen widmen sollte – und auch alle ‚technischen Schulden‘, also nicht ausgeführte Erneuerungen, nachziehen muss.“ Ansonsten wachsen nach seiner Einschätzung die Aufwände für die Betreuung der bestehenden Umgebung: „Untersuchungen von Marktforschern haben gezeigt, dass allein 40 Prozent der IT-Budgets für die Fehlerbehebung und Pflege der Altanwendung anfallen.“
Sonderfall Standardlösungen
Eine Besonderheit sieht Rosado bei Unternehmen, die auf Standardlösungen, wie etwa SAP, setzen. Wenn ein Unternehmen viel Aufwand in das Customizing einer derartigen Applikation gesteckt hat, treten immer Probleme auf, wenn man auf neue Releases umsteigen möchte – oder muss – und man seine Anpassungen „mitnehmen“ möchte. Daher ist die Aussage „Anwendungen wie SAP brauchen Unternehmen, die sich an die Software anpassen“ nicht von der Hand zu weisen.
Für diese Art von Herausforderung schlägt Rosado einen anderen Weg vor: „Alles was ein Unternehmen einzigartig macht, also Datenstrukturen, Abläufe, Business Rules, Portale, sollten nicht in der Standardapplikation umgesetzt werden. Denn wer diese Funktionalitäten in eigener Umgebung implementiert, die für ein schnelles und permanentes Ändern des Codes ausgelegt ist, der kann diesem Dilemma Herr werden.“
Daher fahren laut Rosado auch viele OutSystems-Anwender zweigleisig: Die Standardprozesse sowie die Best Practices für eine Branche werden von SAP abgedeckt und alles andere – das letztendlich den Unterschied zur Konkurrenz ausmacht – wird im Outsystems-Universum umgesetzt – einer Umgebung die speziell für das schnelle Ändern ausgelegt ist. Die Verbindung der beiden Welten wird via Interfaces – Webservices – gemacht.
Die Rolle von No-Code- und Low-Code
In der Umgebung von OutSystems kommen No-Code- und Low-Code-Techniken zum Einsatz. Dabei sieht Rosado drei Arten von Entwicklern: „das sind zum einen die Mitarbeiter aus den Fachabteilungen – sie kennen die Geschäftsprozesse genau, liegen mit ihren Programmierkenntnissen auf dem Stand von Excel-Programmierung. Zum zweiten trifft man auf IT-Leute mit Business-Orientierung, die aber mit Computertechnologie und Programmieren vertraut. Als dritte Gattung nennt er noch die Core-Developer, also die ausgewiesenen Software-Entwicklungsspezialisten und Architekturexperten.
Mit der OutSystems-Umgebung werden laut Rosado in erster Linie Mission Critial Systems gebaut. Daher müssen die Funktionalitäten im Bereich Security, Compliance, Stabilität, Skalierbarkeit gegeben sein.
Mit diesem Ansatz kann OutSystems auch bei mittelständischen Anwendern punkten. „Wenn nicht genügend Entwicklungs-Ressourcen verfügbar sind, wenn ein zu geringes Spezialistenwissen vorliegt und zudem noch viele Altanwendungen zu betreuen sind, muss eine Tool-Umgebung zum Einsatz kommen, die schnell die gewünschten Ergebnisse liefert.
Beim Einsatz von OutSystems wird üblicherweise mit einem Application Workshop begonnen und in diesem Rahmen die aktuelle Konfiguration analysiert. „Damit erkennen wir die Altsysteme aber auch alle Aktionen, die man bereits hätte ausführen müssen“, betont Rosado. „Danach lassen sich in vielen Fällen interessante Anwendungen erstellen, vor allem im Bereich der Kundenführung etwa auf einem Portal.“
Dass es dazu Bedarf gibt, steht für Rosado fest: „Viele fertigende Unternehmen möchten direkt an Kunden verkaufen – das steht im Fokus bei vielen Digitalisierungsprojekten in dieser Industrie. Hier braucht es eine Art von E-Commerce-Anwendung, wie etwa eine Mobile App plus ein Portal. Damit beginnen in der Regel die Projekte. In deren Verkauf erkennen Unternehmen recht schnell, welche Services im gesamten Kontext der Kernanwendung abgehen, um den gesamten Prozessablauf zu vereinfachen – etwa die Anbindung an ein System wie SAP.“
Derzeit sei aber auch das Optimieren der Lieferketten ein wichtiger Aspekt, den viele Unternehmen umsetzen wollen. „Es geht bei den Digitalisierungsprojekten immer um die Automation, die um bestehende Systeme gebaut werden muss“, so lautet das Resümee von Rosado.
Im Zusammenhang mit dem Analysieren von Legacy-Code wird es für viele Unternehmen problematisch: „Es gibt beim Analysieren praktisch keine 100prozentige Abdeckung, die meisten Applikationen sind zu komplex.“ Besser sei es, das Verhalten des Systems aus Benutzersicht nachzuvollziehen und anschließend das Verhalten des Systems nachzubauen.
Generell gibt es auch viele Verständnisprobleme bei den Datenstrukturen von Standardapplikationen: Die meisten sind leer, kommen nur bei sehr wenigen Besonderheiten zum Einsatz. Das muss man alles verstehen, wenn man transformieren möchte.
Im Zuge der Transformation dürfe ein weiterer Aspekt nicht zu kurz kommen: die Dokumentation. „Wenn man ein System in ein anderes transformiert muss unbedingt eine aktuell gehaltene Dokumentation der Interfaces, sprich API, erfolgen. Die sind leider nicht immer korrekt – das gibt es auch bei großen Herstellern.“
Ausblick auf künftige Architekturen
Nach Ansicht von Rosado müssen die meisten Kernanwendungen umgebaut werden. „Große monolithische Anwendungen lassen sich kaum mehr mit vernünftigem Aufwand betreiben“, so lautet seine Überzeugung. Dagegen gruppieren moderne Applikationen, die eine schnelle Veränderbarkeit bieten müssen, Hunderte und mehr Microservices zusammen. „Der Vorteil liegt auf der Hand“, so Rosado, „diese kleinen Module lassen sich schneller aktualisieren und ersetzen, so dass die komplette Anwendung ‚zeitgemäß‘ bleibt.
Eine wichtige Rolle werde dabei auch die Künstliche Intelligenz (KI) übernehmen: „Sie hilft beim Testen der Module. Dazu wird Feedback der Benutzer eingesammelt, so dass die KI lernt. Speziell die Security Checks lassen sich so automatisieren.“
Rainer Huttenloher