Agilitätsbarometer: Mehr Schein als Sein
22. Juni 2016Ende 2015/Anfang 2016 befragte Haufe 400 Führungskräfte und 800 Angestellte deutscher Unternehmen aller Branchen mit mehr als 100 Mitarbeitern. Zwei Drittel der im Rahmen der Studie interviewten Führungskräfte haben ihre Position mit Führungs- oder Personalverantwortung seit fünf oder mehr Jahren inne. Der direkte Vergleich, der durch die parallele Befragung von Führungskräften und Mitarbeitern möglich wird, zeigt in vielen Bereichen eine divergente Sicht auf das Thema Agilität. 70 Prozent der Führungskräfte sind der Meinung, ihr Unternehmen setzt bereits ausreichend agile Strukturen und Führungsmodelle ein, um sich bei Bedarf schnell auf veränderte Markt- und Kundenanforderungen einzustellen.
Auf Seiten der Mitarbeiter zeigt sich eine ganz andere Einschätzung: Nicht einmal ein Drittel der Mitarbeiter ist überzeugt, dass die Strukturen und Führungsmodelle in ihrem Unternehmen ausreichend agil sind. Der größte Anteil (35 Prozent) der Angestellten kann dies nicht beurteilen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Frage nach der Existenz von agilen Unternehmensstrukturen: Während mehr als die Hälfte des Managements der Meinung ist, dass mindestens ein Viertel aller Mitarbeiter bereits in selbstorganisierten Teams oder Projektteams arbeitet, können das nur 26 Prozent der befragten Angestellten bestätigen. Auch beim Vergleich mit dem Wettbewerb kommt es zu kontroversen Aussagen: Mehr als zwei Drittel der Führungskräfte schätzen das eigene Unternehmen agiler ein als die Konkurrenz. Diese Ansicht teilen aber nur 41 Prozent der Mitarbeiter. Knapp ein Drittel der Mitarbeiter (28 Prozent) gab an, diese Frage nicht beurteilen zu können.
Bernhard Münster, Senior Product Manager bei Haufe und Initiator der Studie, kommentiert die Ergebnisse: „Führungskräfte schätzen ihr Unternehmen generell agiler ein als Mitarbeiter. Auch können die Angestellten den Agilitätsgrad ihres Unternehmens häufig gar nicht beurteilen. Dies mag daran liegen, dass Mitarbeiter mit agilen Strukturen und Führungsmodellen bisher deutlich weniger in Berührung gekommen sind als Führungskräfte. Unter Umständen wird auch die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit der Maßnahmen nicht hinreichend kommuniziert und kommt somit beim Mitarbeiter gar nicht erst an.“
Das Bild vom „Top-Down-Gefälle“ wird verstärkt durch die Frage, was Mitarbeiter und Führungskräfte überhaupt unter Agilität verstehen bzw. wie sie im Unternehmensalltag umgesetzt wird. 25 Prozent der Mitarbeiter beantworten diese Frage mit der individuellen Gestaltung von Arbeitszeit und -ort. Bei den Führungskräften erreicht dieser Punkt immerhin noch Platz 2. Für das Gros der Manager (38 Prozent) bedeutet Agilität jedoch, dass Mitarbeiter in Unternehmensentscheidungen eingebunden werden. Aber nur 18 Prozent der befragten Mitarbeiter sind der Meinung, dass sie tatsächlich mitentscheiden dürfen. Auch in punkto agile Arbeitsmethoden gehen die Antworten weit auseinander: 18 Prozent der Führungskräfte arbeiten bereits mit Methoden wie Scrum oder Design Thinking. Bei den Mitarbeitern sind es jedoch nur 8 Prozent.
Die Ergebnisse zeigen, dass es in den wenigsten Unternehmen eine einheitliche Definition von Agilität gibt. Gleichzeitig fehlt das Wissen, welche agilitätsfördernden Strukturen und Instrumente es überhaupt gibt. Die Maßnahmen, die von Führungskräften genannt werden, sind in der Unternehmenslandschaft bereits weit verbreitet und führen nicht zwangsläufig zu einer gesteigerten Reaktionsfähigkeit. So reichen etwa eine Einbindung der Mitarbeiter in Unternehmensentscheidungen und flexible Arbeitszeiten und -orte bei weitem nicht aus, um für zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Dazu muss auch die Organisationsstruktur agiler werden.
“Wenn Unternehmen ein Change hin zu mehr Agilität auf allen Ebenen gelingen soll, ist auch ein kultureller Wandel gefordert. Aus den Studienergebnissen lässt sich eine in unseren Augen sehr wichtige Führungsaufgabe ableiten: Mitarbeitern die im Unternehmen bereits vorhandenen agilen Strukturen nahe zu bringen und deren Notwendigkeit für die Zukunft des Unternehmens zu kommunizieren“, so Münster abschließend. (rhh)
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