New Work als ganzheitlicher AnsatzDer Weg zu einer sinnstiftenden Arbeitskultur
3. Mai 2024Technologischer Fortschritt, Globalisierung, neue Generationen: Die Arbeitswelt erlebt einen enormen Wandel, weil sich äußere Rahmenbedingungen in hohem Tempo verändern und sich in jungen Talenten eine neue Haltung manifestiert. Unternehmen reagieren darauf, in dem sie sich verstärkt am Konzept „New Work“ orientieren. Doch viele begehen den Fehler, dass sie New Work partikular betrachten und Arbeitsplatzgestaltung einzig an Äußerlichkeiten festmachen. Innovationsfähig, krisenfest und für interne und neue Talente attraktiv werden Unternehmen aber nur, wenn sie New Work als Selbstermächtigungsprogramm verstehen, ganzheitlich umsetzen und der Arbeit einen Sinn geben.
Die Idee New Work klingt innovativ, ist aber schon rund 40 Jahre alt. In den 1980er-Jahren begründete der Philosoph Frithjof Bergmann im Zuge der Automatisierung in den USA das New-Work-Konzept: Etliche Fabrikarbeiter wurden aufgrund des technologischen Wandels arbeitslos, Bergmann wollte diesen Menschen nun die Chance geben, sich als Arbeitskraft neu zu erfinden. Sie sollten herausfinden, was sie wirklich machen möchten und sich entsprechend weiterentwickeln.
Was als Notprogramm geboren wurde, entwickelte sich zu einer Bewegung, die vor allem in den letzten Jahren wieder starken Zulauf erfahren hat. Denn während der Pandemie bestand plötzlich der Zwang, Arbeitsweisen neu zu denken. Entlarvt wurden nun all diejenigen, die New Work zuvor missverstanden hatten, nämlich eher als New Office.
„New Work wurde lange nur als neuer Einrichtungsstil umgesetzt, der die Aufenthaltsqualität erhöhen sollte“, weiß Holger Bramsiepe, Managing Partner der Beratungs- und Designagentur Generationdesign. Bramsiepe und sein Team unterstützen Unternehmen als systemische Organisationsberatung unter anderem bei der ganzheitlichen Planung und Umsetzung von New Work-Strategien, um die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu gewährleisten.
Gestaltung des Arbeitsplatzes ist Folge der neuen Prozesse
Ziel des Konzepts New Work ist eben nicht, den Arbeitsplatz zum hippen Loft mit Kaffeevollautomat und Kicker-Tisch umzubauen, sondern die Arbeit für jeden Mitarbeitenden sinnstiftend zu gestalten. Ja, Mitarbeitende sollen sich wohlfühlen und wissen, was sie für die Erbringung persönlicher Top-Leistung brauchen, doch die Gestaltung des Büros ist eine Folge neuer Arbeitsprozesse und nicht deren Initialzündung.
Die Gesellschaft wandelt sich zu einer Wissens- und Kreativgesellschaft, vor allem junge Talente wollen nicht mehr nur vorgegebene Aufgaben abarbeiten, sondern Lösungen selbstständig und co-kreativ entwickeln. Dafür müssen übergeordnete Ziele entwickelt werden, damit Mitarbeitende den Zweck ihrer Arbeit erkennen. „Wenn Mitarbeitende einen Sinn in ihrer Tätigkeit sehen, sind sie zufriedener und motivierter“, weiß Bramsiepe. „Das führt zu schnelleren und besseren Ergebnissen.“ Damit geht auch eine neue Form der Führung einher, die mehr individuelle Freiheiten zulässt und Rollen sowie ihre Verantwortlichkeiten transparent definiert und diese unterstützt.
In der Erreichung der übergeordneten Ziele müssen Unternehmen ihren Mitarbeitenden viel mehr Eigenverantwortung und Raum für Kreativität zugestehen. Ergebnisse und langfristiger Erfolg zählen, nicht die Anwesenheit am Arbeitsplatz. Unternehmen müssen den Fragen nachgehen, wie, wann und wo jeder Mitarbeitende welche Arbeit am besten erledigen kann.
So entstehen auch neue Formen der Zusammenarbeit, weil Teammitglieder zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Orten aus arbeiten und sich dennoch als Gemeinschaft wahrnehmen sollen. Es gilt, Teammitglieder gut zu vernetzen und gute Beziehungen und wirksame Verbindungen untereinander aufzubauen, damit das Team gemeinsam Ziele erreicht, Visionen umsetzt und schnell ins Tun und Handeln kommt.
Teammitglieder vernetzen und zu Kommunikation befähigen
Kommunikation muss daher ebenfalls neu gedacht, Mitarbeitende und Teams zu einer transparenten und konkreten Kommunikation und auch Moderation befähigt werden. Moderne Technologien wie Kollaborationstools unterstützen dies und sollten Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden. Auch Künstliche Intelligenz spielt im Kontext von New Work eine Rolle. Bislang wird KI – wie die digitale Transformation – noch eher als Ziel betrachtet und nicht als gestalterisches Mittel zum Zweck verwendet.
„KI ist ein unglaublicher Chancenraum“, so Holger Bramsiepe. „Denn viele manuelle Aufgaben und Prozesse lassen sich mit KI mühelos und schnell automatisieren, sodass Mitarbeitende mehr Zeit für wertschöpfende und sinnstiftende Arbeit gewinnen. Unternehmen müssen für solch neue Technologien offen sein, Ängste und bürokratische Barrieren abbauen und den richtigen Umgang lernen.“
Wichtig ist, dass Unternehmen New Work nicht nur in einzelnen Abteilungen umsetzen, sondern ganzheitlich betrachten und unternehmensweit ermöglichen – denn alle Mitarbeitenden sollen und wollen profitieren. Zwar lässt sich Flexibilität nicht in allen Unternehmensbereichen so einfach umsetzen, so zum Beispiel in der Produktion; doch auch hier muss Arbeit sinnstiftend sein, auch hier sollen sich Mitarbeitende frei entfalten können. Die Arbeitszeit ließe sich beispielsweise aufteilen in einen Großteil Produktionsarbeit und einen kleinen Teil kreative Arbeit (z.B. Konzeptentwicklung und Ideen für neue Aufträge oder Verbesserungen der eigenen Arbeitsumgebung). „Es lässt sich wirklich jeder Bereich weiterentwickeln“, weiß der Unternehmensberater aus Erfahrung.
Etablierung von New Work braucht Unterstützung und Zeit
Mit Hilfe einer systemischen Organisationsberatung gelingt es Unternehmen, New Work ganzheitlich zu verstehen und zu etablieren. Mit dem Expertenblick von außen schätzen Beratende zunächst den diesbezüglichen Reifegrad einer Organisation ein und ermitteln den Status quo. Anschließend wird gemeinsam eine Vision und ein Ziel entworfen, das die Marschrichtung für den weiteren Projektverlauf vorgibt.
Bramsiepe und sein Team arbeiten an dieser Stelle mit vier Zukunftsimpulsen: Ambidextrie, Zukunftsbewusstsein, Gestaltungsfähigkeit und Zukunftsvision. Unter Ambidextrie verstehen die Beratenden, aktuell für die Gegenwart und zeitgleich perspektivisch für die Zukunft zu denken. Daraus ergibt sich der zweite Impuls, das Zukunftsbewusstsein, also die Gewissheit, die Zukunft durch das eigene Handeln aktiv beeinflussen zu können.
Dafür braucht es – drittens – Gestaltungsfähigkeit, also die Kompetenz, jede Aufgabe mit den Prinzipien von Design und Kreativität erfolgreich zu lösen. Die Zukunftsvision, das veranschaulichte höhere Ziel, ist schließlich maßgebend für das weitere Vorgehen, weil sich aus ihr die Maßnahmen ableiten, die vom Ist- zum Soll-Zustand führen.
„Das alles ist jedoch kein Workshop“, erklärt Bramsiepe. Sprich: Unternehmen müssen für die Transformation viel Zeit einplanen. So dauert die Konzeptionsphase etwa 6 bis neun Monate, die konkreten Veränderungen der Arbeitswelt nehmen weitere 12 Monate oder mehr in Anspruch. Bis sich die Unternehmenskultur vollständig gewandelt hat, vergehen gut und gerne weitere drei bis fünf Jahre.
Der Erfolg stellt sich aber trotz dieser langen Projektlaufzeit sehr schnell ein. Bramsiepe: „Der ‚Return on Invest‘ ist schon nach einem halben Jahr da.“ Seinen Erhebungen zufolge brauche es in einer Organisation mit 1000 Mitarbeitenden nämlich nur 100, die nach dem Konzept von New Work arbeiten, damit Unternehmen bereits doppelt so viel einsparen, wie sie für die Transformation ausgeben haben. Doch nicht nur Kostenreduktion ist ein großer Vorteil von New Work, Unternehmen werden auch resilienter gegen Krisen und stärken ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit. Nicht zuletzt sind sie für qualifizierte Fachkräfte attraktiver, können ihre Performer halten und junge Talente gewinnen.
Damit Unternehmen innovativ, krisenfest und talentenanziehend sind, müssen sie das Konzept New Work als ganzheitliches Selbstermächtigungsprogramm verstehen. Die Umsetzung erfordert mehr als nur die Gestaltung des Arbeitsplatzes; sie geht mit einer Neudefinition von Arbeit einher, die individuelle Freiheiten und Sinnstiftung betont. Kommunikation und Technologie spielen dabei eine entscheidende Rolle. Die Etablierung von New Work erfordert zwar Geduld und Unterstützung, belohnt werden Unternehmen dafür aber mit gesteigerter Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit für eine erfolgreiche Zukunft.
Julia Kowal ist Redakteurin für Wordfinder