Fashion 4.0: Wie gelingt die digitale Transformation der Modeindustrie?Vorreiter shooten neue Kollektionen in virtuellen Fotostudios

2. Juli 2020

Keine Branche kann sich der Digitalisierung entziehen. Kunden sind Omnichannel-Welten gewohnt und leben zunehmend virtuell – und die Marken müssen mitziehen. Auch die Modeindustrie befindet sich derzeit im Umbruch und digitalisiert nach und nach die Produktentwicklungsprozesse. Wie können Modeunternehmen parallel zur gleichzeitig stattfindenden Digitalisierung ihrer Prozesse schon jetzt Vorteile heben und nutzen? Eine Möglichkeit sind zum Beispiel virtuelle Fotostudios, in denen neue Bildwelten entstehen. Von diesen kann insbesondere das Fashion-Marketing profitieren.

Die Modebranche ist in ihren Designs seit jeher mutig und visionär. Was heute auf dem Laufsteg zu sehen ist, kann morgen schon als absoluter Trend weltweit gelten. Diese Innovationsfreude kommt den Unternehmen auch bei der Digitalisierung von Geschäftsprozessen zugute. Denn jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich von Wettbewerbern abzuheben.

Schließlich macht die Bekleidungsindustrie gerade einen tiefgreifenden Wandel durch. Der Konkurrenzdruck steigt, Verkäufe verlagern sich zunehmend von lokalen Stores auf Fashion-Plattformen. „Eine umfassende Digitalisierungsstrategie ist gerade jetzt essentiell wichtig“, so Moritz Müller, COO des Medien- und IT-Dienstleisters Meyle+Müller.

Denn unternehmensübergreifende vernetzte Prozesse sind die beste Option, auf verändertes Konsumverhalten und Konsumentenanforderungen zu reagieren. Dabei geht es nicht nur um einen funktionieren Webshop, sondern ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig, um Silo-Investitionen zu vermeiden.

Schnelllebige Modeindustrie ist auf optimierte Prozesse angewiesen

„Auch wenn die Branche sich nicht so schnell digitalisiert wie andere, so ist doch eine deutliche digitale Aufbruchsstimmung zu beobachten“, sagt Müller. Nicht umsonst erfreut sich die FashionTech als fester Bestandteil der Berlin Fashion Week seit Jahren wachsender Beliebtheit. Auf der Tech-Konferenz für die Modeindustrie werden Themen rund um die digitale Transformation, Innovationen und disruptive Technologien diskutiert.

Es geht um Künstliche Intelligenz für Fashion Boutiquen, die richtige E-Commerce Strategie und wie sich Online- und Offline Channels am besten verbinden lassen. An Ideen für die digitale Transformation fehlt es der Modeindustrie also nicht.

Was sind die Vorteile der Digitalisierung für die Fashion Industrie? Vor allem bringen effiziente Prozessinfrastrukturen Schnelligkeit mit sich. Gerade diese ist in der Modebranche, die von kurzen Saisonzyklen lebt, besonders wichtig. Was im Winter noch en vogue war, verkauft sich vielleicht im Frühjahr überhaupt nicht mehr.

Müller schlussfolgert daher: „Diese ständigen neuen An- und Herausforderungen verlangen eine schnelle Reaktionsfähigkeit sowie agiles und flexibles Handeln. Es geht darum, digital zu denken, Produkte noch schneller vermarkten zu können und Geschäftsprozesse kostengünstiger zu machen.“ Gleichzeitig erwarten Verbraucher Transparenz und Nachhaltigkeit. Es wird also klar, dass die digitale Transformation alle Aspekte der Unternehmenskultur erfassen muss.

So überbrücken Marken die digitale Kluft

In einem ersten wichtigen Schritt müssen Marken ihren fragmentierten Ansatz auf dem Weg zu Fashion 4.0 überwinden. Allein mit einer Marketing-Abteilung, die die Facebook-Seite aktualisiert, ist es nicht getan. Experten raten zum Erstellen einer einheitlichen Plattform für alle Vertriebskanäle und Prozesse. Das reduziert Komplexität für die Händler und ermöglicht eine ganzheitliche Kundenansprache. Systempflege und Hosting der Infrastruktur werden am besten in die Cloud ausgelagert. Das garantiert Flexibilität und Skalierbarkeit sowie Systeme, die stets auf dem neuesten Stand sind.

Digitale Innovationen in den Stores sind ebenfalls ein Muss und ziehen die Kunden im Sinne einer perfekten Customer Journey an. Dazu gehören etwa Tablets für die Verkaufsberatung und Displays, die auf Stücke hinweisen, für die in den Regalen kein Platz ist. Einige Marken arbeiten bereits mit Smart Mirrors in der Umkleidekabine, mit denen im Laden anprobierte Outfits fotografiert und direkt an Freunde und Bekannte geschickt werden oder ermöglichen das Ordern einer anderen Größe per Smartphone in die Umkleidekabine. Wichtig dabei ist: Alle PoS, Social-Media-Kanäle, Website und Webshop, SEO- und Affiliate-Marketing-Maßnahmen müssen ineinandergreifen.

Virtuelles Studio: Vorreiter-Image gegenüber Wettbewerbern

Wer den Fokus auf das Optimieren interner Prozesse legen will, um die Time-to-market massiv zu verkürzen, dem bietet die Digitalisierung zahlreiche Möglichkeiten. Kollektionsplanung, Sortimentswechsel, Content Produktion – all das lässt sich mithilfe innovativer Tools beschleunigen und kostensparender gestalten. Mode ist ästhetisch und lebt von Emotionen.

„Bilder haben in neuen Kollektionen und Kampagnen daher eine ganz besonders wichtige Funktion. Mit Fotos werden neue Trends angekündigt, der Webshop ausgestattet und Lookbooks und Kataloge erstellt“, ergänzt Müller. Allerdings sind Shootings und Produktionsreisen eine große Position im Budget von Marketingabteilungen. Gerade wenn es gilt, mehrere Kollektionen im Jahr zu fotografieren, kann dieser Bereich äußerst hohe Summen verschlingen: Flüge für ein ganzes Team und die Models, Setaufbau und Buchung von Locations, Reisekosten etc schlagen zu Buche. Eine Möglichkeit, um hier Kosten zu senken, sind innovative virtuelle Fotostudios.

Hier werden Models in Fotostudios vor Greenscreens fotografiert. Die Locations wurden im Vorfeld mit CGI an Computern entworfen. „Während des Shootings können Kunde und Fotograf über den sogenannten ‚Live View‘ auf einem Referenzmonitor die Positionierung des Models im virtuellen Raum verfolgen. Sie sehen also sofort, wie das Endprodukt aussehen wird“, erklärt Müller das Prozedere. „Die Beleuchtung zwischen beiden Elementen wird dann interaktiv angeglichen.“

Egal ob südafrikanischer Strand, Broadway oder endloses Wüstenpanorama – dank der CGI-Welten sind den Hintergründen keine Grenzen gesetzt. Zudem sind Kreative im virtuellen Fotostudio nicht an die Realität gebunden, sondern können auch interaktive Illustrationen, Grey Shades oder andere Fantasie-Elemente als Hintergrund verwenden.

Kreativen Content produzieren und Ökobilanz verbessern

Marken, die bereits mit virtuellen Fotostudios arbeiten, schätzen vor allem die schnellere Markteinführung durch effiziente Workflows und den Wegfall von Fotoreisen sowie die Innovation bei der Gestaltung. Weiterer Pluspunkt: Durch die virtuellen Welten kann die Location jederzeit wiederverwendet werden. Wenn Teile der Kollektion später fertig werden, ist das Set auf Knopfdruck wieder verfügbar. Müller: „Nicht zuletzt wird diese neue Art der Content Produktion auch dem Ruf der Verbraucher nach mehr Nachhaltigkeit gerecht.“ Denn der Wegfall von Flügen für on-Location Shootings verbessert deutlich die Ökobilanz.

Für den neuen Prozess der Fotoproduktion müssen Fashion-Unternehmen ihre eigenen Digitalisierungsprozesse nicht extra weiter forcieren, sondern können das virtuelle Studio von externen Anbietern nutzen. Es handelt sich somit um einen digitalen Prozess, der unabhängig vom Digitalisierungsstand des Fashion-Unternehmens genutzt werden kann. In wenigen Jahren werden die virtuellen Welten in der Fashion-Branche noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Auch die Produktentwicklung wird stetig digitaler, gearbeitet wird am Rendering von Textilien. Wenn dieser Prozess perfektioniert ist, können auf Basis dieser Daten virtuelle Textilien entstehen und so für Bildmaterial verwendet werden, bevor die Kollektion überhaupt fertig ist. Besonders für das digitalisierte Marketing, das über soziale Medien stattfindet, ist vielfältiges aber auch kostengünstiges Bildmaterial aktueller Mode wichtig. So werden Influencer schnell involviert und Social Commerce sowie Curated Shopping werden noch effizienter.

Claudia Ballhause ist IT-Journalistin für Wordfinder.

Meyle+Müller

[zerone]

Lesen Sie auch