Interface-Methodik in modernen ERP-SystemenDigitalisierung kommt nicht ohne Schnittstellen aus
25. Januar 2019Smarte Fabriken, Internet of Things, Künstliche Intelligenz (KI), Virtual Reality – im allgemeinen Mainstream-Diskurs um den digitalen Wandel werden handwerkliche Fakten oft vergessen: Ohne Schnittstellen funktioniert keine Digitalisierung. Besonders deutlich wird das bei Unternehmenssoftware und wenn es darum geht, durchgängige Prozessketten zu erzeugen.
Schnittstellen sind essentiell, um über Systemgrenzen hinweg zu kommunizieren und Daten auszutauschen. Sie kommen beispielsweise bei der Anbindung von Webshops oder Scannern zum Einsatz. Auch bei der Datensynchronisation mit anderen Systemen oder bei der Integration zusätzlicher Daten von externen Services (wie z.B. Geodienste, soziale Netzwerke) sind Schnittstellen erforderlich.
Im Bereich moderner Unternehmenssoftware gibt es schon jetzt vielfältige Möglichkeiten, Funktionen von außen aufzurufen und externe Webservices einzubinden. Über welche gängigen Methoden und Technologien heute Schnittstellen zwischen ERP und anderen Systemen realisiert werden können, soll im Folgenden an einigen Beispielen erklärt werden.
ETL – Extract, Transform, Load
Mit einem ETL-Tool (Extract-Transform-Load) lassen sich auf komfortable Weise unterschiedlichste und sehr dynamische Schnittstellen kreieren. Dazu werden Daten einer Datenquelle zuerst extrahiert, dann umgewandelt bzw. transformiert und am Ende in ein Ziel also bspw. eine Datenbank geschrieben. Der ETL-Prozess erhält seine Flexibilität und Dynamik dadurch, dass das Format von Ziel und Quelle beliebig sein kann.
Daten müssen also im Vorfeld nicht bereinigt oder in irgendeiner Form modelliert werden. Auch lassen sie sich sehr viel einfacher hinzufügen. Beispielsweise können Informationen aus einem Excel-Dokument extrahiert und in die ERP-Datenbank übernommen werden. Ebenso lassen sich Daten aus dem ERP bspw. in Form eines CSV-Dokuments exportieren, damit sie von anderen Anwendungen weiter-verarbeitet werden können.
Schnittstellen im Handumdrehen modellieren
Ein weiterer Vorteil ist eine intuitive Benutzerführung: Ein grafischer Editor fungiert dabei als eine Art Zeichenoberfläche, auf dem Schnitt-stellen mit einfachen Bausteinen modelliert werden können. Dadurch hält sich der manuelle Aufwand in Grenzen und es sind auch keine zusätzlichen Programmierkenntnisse erforderlich.
Dies ermöglicht Unternehmen eine Verlagerung der Datenmigration und Schnittstellengestaltung von der IT weg in die betreffenden Fachabteilungen, so dass man eigentlich von Integrationsschnittpunkten sprechen sollte.
Optimal für Stamm- und Bewegungsdaten
ETL ist vor allem für den Im- und Export von Stamm- und Bewegungsdaten geeignet. Also wenn bspw. Artikel- und Adressdaten oder Bewegungsdaten wie Bestellungen und Verträge ins ERP importiert werden sollen. Und anderseits, wenn Daten aus dem ERP einer anderen Anwendung zur Verfügung gestellt werden.
Des Weiteren bietet sich ETL auch für eine generelle Datenübernahme aus Fremdsystemen an. Das funktioniert am besten über sogenannte ETL-Jobs, die, einmal erstellt, regelmäßig ausgeführt werden können. Über eine „Jobplanung“ im ERP kann dann genau festgelegt werden, wie und zu welchem Zeitpunkt ein bestimmter Code ausgeführt werden soll (Scheduling) – z.B. einmal am Tag oder als Intervall alle fünf Minuten.
Sollen bestimmte Daten importiert werden, so geht das recht einfach, indem man eine Datensynchronisation zu dem entsprechenden System schafft und einen regelmäßigen Job einplant. So können Daten dann permanent abgeholt werden.
Prozesse schaffen mithilfe von Komponenten
Im ETL-Editor selbst wird mit sogenannten Komponenten gearbeitet. Diese werden quasi als Prozesskette hintereinander angehängt. Dafür stehen den Anwendern zahlreiche Standardkomponenten zur Verfügung. Zusätzlich können speziell entwickelte Komponenten den Verbindungsaufbau zum ERP insgesamt zu vereinfachen. Beispiele für solche Tools sind:
- Connection – Verbindungsaufbau zum ERP (Simulierte Clientanmeldung) mit ERP-Benutzer und dessen Berechtigungen.
- Conversion – ruft die ERP-Conversion (Datenübernahmeprogramme) auf (Prüfungen und Plausibilitäten inklusive).
- Input – holt Daten vom ERP, quasi der Aufruf eines List-Programms.
- Output – ermöglicht neben Schreib- und Updatefunktionen den Aufruf aller ERP-Prozeduren.
Webservices – vom ERP aus auf Fremdsysteme zugreifen
Webservices haben als Technologie mittlerweile eine weite Verbreitung gefunden. Eine bekannte Metapher besagt: „Webservices sind für Computer das, was Webseiten für Menschen sind.“ So kommen diese Technologien beispielsweise immer dann zum Einsatz, wenn ein Anbieter bestimmte Funktionen zur Verfügung stellt, die von einem oder mehreren Nutzern in Anspruch genommen werden.
Die Kommunikation zwischen dem Anbieter der Services und deren Nutzern erfolgt über Standard-Protokolle wie bspw. HTTP, SMTP, FTP. Das ermöglicht die Zusammenarbeit verschiedener Software-Anwendungen, die auf unterschiedlichen Plattformen laufen. Für den Anwender bleibt die Implementierung des Webservices im Verborgenen (Blackbox) – das heißt, er ruft den Service auf und bekommt eine Antwort, sieht aber nicht, was dazwischen passiert ist bzw. wie seine Anfrage verarbeitet wird.
So können ERP-Systeme mithilfe von Webservices auf viel größere Dienste zugreifen – etwa auf Google Maps oder Xing. Das ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem ETL-Tool, das lediglich auf Datenbanken im gleichen Unternehmensnetzwerk (z.B. Zeiterfassungssystem, Lagersoftware, etc.) zuzugreifen vermag.
Verschiedene Varianten von Webservices
Es gibt viele Arten von Webservices, die drei bekanntesten Standards sind: XML-RPC, SOAP und REST. Von einem modernen ERP-System aus sollten sich beliebige Arten von Webservices aufrufen und einbinden lassen.
Das älteste Format nennt sich XML-RPC (Remote Procedure Call), basiert also auf XML und nutzt HTTP zum Versenden der einzelnen Nachrichten. Dieser Standard wurde mittlerweile weiterentwickelt: Aus XML-RPC entstand Simple Object Access Protocol (SOAP), welches ebenfalls auf XML basiert, aber eine deutlichere Struktur und mehr Spezifikationen aufweist (z.B. festes Nachrichtenformat, Verzeichnis-dienst, eigene Sprache zur Beschreibung der Schnittstelle).
Die neueste Möglichkeit Webservices zu realisieren ist REST (Representational State Transfer). Dieser Variante basiert nicht auf XML und ist insgesamt schlanker als bspw. SOAP. REST nutzt Standard-Operationen des Protokolls HTTP (GET, PUT, POST), und Antworten werden in Form von XML, JSON oder HTML gesendet.
HTTP-Schnittstelle – Flexibler Zugriff von außen
Webservices lassen sich nahtlos aus dem ERP heraus aufrufen, um Informationen aus anderen Systemen zu erhalten. Die HTTP-Schnittstelle ist verglichen damit, ebenfalls eine Art Webservice. Jedoch stellt das ERP diese den anderen Systemen zur Verfügung – das heißt, über die HTTP-Schnittstelle kann von außen auf das ERP zugegriffen werden.
Der Aufruf der Schnittstelle geschieht dabei über ein Standard-HTTP-Protokoll (GET und POST). Funktional ermöglicht diese Methode einen direkten Zugriff auf die Backend-Funktionen des ERP. Die fachliche Ebene des ERP-Systems kann sowohl lesend, als auch schreibend aufgerufen werden. Daten können also von beliebigen Endgeräten/Systemen abgerufen und geändert werden. Die Rückgabe erfolgt dann im HTTP-Body, in Form von XML oder JSON.
Der Zugriff von außen ist SSL-verschlüsselt, über eine sitzungsbezogene Kommunikation. Der Anwender muss sich zuvor einloggen und erhält daraufhin eine Session-ID. Diese wird bei nachfolgenden Aufrufen mit übergeben. Auf diese Weise lassen sich z. B. direkt Preise, Verfügbarkeiten oder auch Stamm- und Bewegungsdaten auf einem beliebigen Zielsystem oder Endgerät mit einer beliebigen Programmiersprache austauschen.
Vielfältige Einsatzgebiete
HTTP-Schnittstellen kommen vor allem bei mobilen Applikationen zum Einsatz. Wenn eine ERP-Lösung bereits über Basis-, Service- und Vermietungs-Apps verfügt, resultiert daraus ein Mobilitätsvorsprung. Auch bei Webshops (Aufruf aus Webseiten heraus) und der Kommunikation mit Fremdsystemen spielen HTTP-Anbindungen eine wesentliche Rolle – Darstellung, Optik und Programmiersprache sind dabei in keiner Weise vordefiniert.
Webshop – Zugriff aufs ERP von außen
Ähnlich wie bei der HTTP-Schnittstelle geht es auch bei einem Webshop darum, von außen auf ERP-Daten und Funktionalitäten zugreifen zu können. Im Gegensatz zur HTTP-Schnittstelle bietet ein ERP-Webshop jedoch nicht nur die Möglichkeit Funktionen aufzurufen, sondern gleich ein komplettes Webprojekt mit Benutzeroberfläche und einigen Standardfunktionalitäten (z.B. Artikelübersicht und Warenkorb) zu realisieren.
In modernen ERP-Lösungen setzt sich die Technologie dahinter bspw. aus Java Server Pages und Servlets zusammen und erlaubt so den Zugriff auf alle ERP-Backend-Funktionen. Eine zusätzliche Datenbank zur Verarbeitung ist nicht notwendig, da der Webshop direkt über eine synchrone Schnittstelle an das ERP-System angebunden ist. So sind die Daten immer aktuell und werden nicht mehrfach abgespeichert.
Für jedes Einsatzgebiet eine Technologie
Auf dem Weg hin zur Automatisierung sämtlicher Unternehmensprozesse wird die Entwicklung von Schnittstellen immer mehr zur Kernanforderung bei der Digitalisierung. Die vier vorgestellten Technologien lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Eine Gruppe, die den Zugriff aus dem ERP heraus auf Fremdsysteme ermöglicht und jene, für den direkten Zugriff von außen auf das ERP. Für welche Technologien sich Unternehmen entscheiden, hängt also letztlich davon ab, was erreicht werden soll und welche Grundvoraussetzungen vorhanden sind.
- Sollen Daten aus einem Fremdsystem importiert werden, stellt sich immer die Frage, ob der direkte Zugriff auf die Fremddatenbank möglich ist oder nicht: wenn „Ja“, ETL; wenn „Nein“ Webservice.
- Sollen Daten aus dem ERP geholt werden bspw. für einen Webshop, müssen im Vorfeld zwei wesentliche Fragen geklärt werden: Ist eine Oberfläche bereits vorhanden? Und mit welcher Technologie/Programmiersprache möchte der Anwender entwickeln?
Je nachdem wie die Fragen beantwortet werden, eignet sich die HTTP-Schnittstelle oder eine direkte Webshop-Anbindung.
Wolfram Wiese ist PR-Fachredakteur bei der PRX Agentur für Public Relations GmbH
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