Interview mit Matthias Breitenstein, BE-terna, Teil 2„Für eine ‚Operation am offenen Herzen‘ braucht es Spezialisten“

10. September 2025

Passgenaue Branchenlösungen auf der Basis eines Headless Commerce-Ansatzes empfahl Matthias Breitenstein, Industry Lead bei BE-terna, im ersten Teil des Interview. Doch was setzt eine derartige IT-Architektur voraus und wie gelingt der Umstieg? Darauf gibt der Experte im zweiten Teil des Interviews mit Line-of.biz (LoB) die Antworten. Teil 1 des Interviews ist bereits erschienen.

LoB: Was ist an Systeminfrastruktur für einen Headless Commerce-Ansatz nötig?
Breitenstein: Durch Microsoft Dynamics 365 Finance and Operations verfügen Unternehmen bereits über alle Kernkomponenten, die sie benötigen: ein ERP-System, ein Webshop-System, ein Point-of-Sale-System. All diese Komponenten werden in der Azure Cloud betrieben. Wo diese wiederum gehostet wird, können Unternehmen in der Regel während des On-Boardings definieren. Neben weltweiten Standorten bestehen dabei auch zahlreiche Optionen, europäische Standorte zu nutzen.

LoB: Welche Auswirkungen hat ein zentraler Cloud-Ansatz – passt der zu allen Anforderungen?
Breitenstein: Ab einer bestimmten Größe kann über mehrere Commerce Scale Units die Kommunikation zu den verschiedenen Kassensystemen lokal organisiert werden, wodurch sich etwa Latenz-Problematiken besser ausgleichen lassen. Nutzt ein Unternehmen zum Beispiel ein Rechenzentrum in Europa – vielleicht in Kopenhagen – verfügt jedoch auch über eine Filiale in den USA, wären die Zugriffe der amerikanischen Kollegen von einer höheren Verzögerung geprägt. Hierbei hilft die Commerce Scale Unit, da verschiedene Daten dort gespiegelt vorgehalten werden.

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Im Interview: Matthias Breitenstein, Industry Lead bei BE-terna; Quelle: BE-terna

LoB: Wie sollte man die zugehörige IT aussehen – ist sie selbst zu betreiben oder auszulagern — was ist ab wann besser?
Breitenstein: Meine generelle Empfehlung in diesem Kontext wäre: Ein Unternehmen sollte nach Möglichkeit in der Lage sein, das System zumindest grundlegend selbstständig zu warten und Updates einzuspielen. Es ist nicht zwingend notwendig, in der Lage zu sein, das System selber weiterzuentwickeln, denn dabei handelt es sich um eine komplexe Aufgabe. Aber die Fähigkeit, mit Updates umzugehen, ist aus meiner Sicht entscheidend, insbesondere da Microsoft mit seinem Stack eine „One Version“-Strategie verfolgt. Das bedeutet, dass Updates regelmäßig veröffentlicht werden und diese auch mindestens halbjährlich eingespielt werden müssen. Wer hier nicht über die interne Kompetenz verfügt, das selbstständig zu erledigen, wird häufig auf die Unterstützung externer Dienstleister angewiesen sein. Das ist natürlich machbar – aber eigenes Know-how zu haben, ist in der Praxis sehr hilfreich. Es gibt Unternehmen auch die Freiheit, Updates dann einspielen zu können, wenn es im laufenden Betrieb am besten passt, und sei es nachts, außerhalb der Geschäftszeiten.

LoB: Wie aufwändig ist ein Umstieg auf Headless Commerce?
Breitenstein: Das hängt vom Umfang der Migration ab. Wer sich entscheidet, wirklich alle Komponenten zu nutzen, tauscht im Prinzip seine gesamte Warenwirtschafts-IT aus. Das ist eine Operation am offenen Herzen. Entsprechend empfiehlt sich in der Praxis ein stufenweises Vorgehen. So könnten Unternehmen beispielsweise beim eigentlichen ERP-System beginnen und die verschiedenen Vertriebssysteme im Nachgang ausrollen. Auch das ERP selbst lässt sich in einzelne Bereiche unterteilen, falls dies gewünscht wird. Man könnte zunächst die Finanzbuchhaltung einführen und danach etwa die Warenwirtschaft.

LoB: Welche Kriterien sind bei einer derartigen Entscheidung wichtig?
Breitenstein: Insgesamt ist es für Unternehmen immer eine Abwägung zwischen Kosten und Risiko. Ein einzelner Big Bang lässt sich am kostengünstigsten umsetzen, birgt jedoch gleichzeitig das Risiko, dass der gesamte Geschäftsprozess bei einem Fehler lahmliegt. Demgegenüber ist ein gestaffeltes Vorgehen deutlich sicherer: Ergibt sich ein Problem, ist nur ein Teilbereich betroffen. Doch jeder Einzelschritt kostet Geld. Ebenso steigt der Aufwand, da jede auszutauschende Komponente temporär mit Schnittstellen an den neuen Kern angebunden werden muss – Schnittstellen, die nur Zwischenlösungen sind, da sie obsolet werden, sobald der nächste Geschäftsbereich migriert wird. Nicht immer ist es möglich oder sinnvoll, die Einführung zu segmentieren. Es handelt sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung. Dennoch ist letztere Variante unserer Erfahrung nach das präferierte Vorgehen der meisten Unternehmen. Das Risiko soll klein gehalten, ein Aufwands-Peak vermieden werden, auch wenn dadurch Kosten und Zeitbedarf steigen.

LoB: Wer hilft bei der Umstellung?
Breitenstein: Natürlich kann es für Unternehmen sehr hilfreich sein, einen spezialisierten Beratungs- oder Dienstleistungspartner wie uns ins Boot zu holen, der Erfahrung bei der Umsetzung solcher Projekte hat. Im Gegensatz zu unseren Kunden beschäftigen wir uns tagtäglich mit ERP-Migrationen. Wir kennen die Herausforderungen und Fallstricke. Jedes Implementierungsprojekt besteht aus verschiedensten Stufen: Zuerst erfolgt eine Analyse und die Entwicklung der eigentlichen Strategie. Dann wird das System eingeführt, konfiguriert, gegebenenfalls angepasst und anschließend getestet. Auf all diesen Stufen unterstützen wir unsere Kunden und begleiten sie durch den gesamten Prozess. So bieten wir beispielsweise eine vorgefertigte, bewährte Einführungsmethodik, die das Projekt strukturiert angeht und passgenau auf Microsoft Dynamics 365 Finance and Operations ausgelegt ist. Unser Ziel besteht dabei immer darin, alle Beteiligten auf dem Weg mitzunehmen – denn die entscheidende Komponente für den Projekterfolg ist das Miteinander.

LoB: Was muss der Dienstleister dazu alles können?
Breitenstein: Neben den selbstverständlichen fachlichen Anforderungen besteht ein zentraler Faktor darin, dass der Dienstleister die Sprache des Kunden und damit auch die Sprache der jeweiligen Branche sprechen muss. Wer nicht auf Anhieb weiß, was ein MHD ist oder wie die Geschäftsprozesse im entsprechenden Bereich in der Regel ablaufen, wird es schwer haben, die Unternehmensverantwortlichen für das Projekt abzuholen.

LoB: Welche Rolle spielt die „Projektkompetenz“?
Breitenstein: Sie ist entscheidend, denn neben dem eigentlichen Projekt-Management bedarf es auch eines soliden Scope- und Change-Managements. Werden beispielsweise individuelle Anpassungen mit einem Fachbereich umgesetzt, entstehen nicht selten auch Wünsche in anderen Bereichen. Es ist Aufgabe des Beratungspartners, hier effektiv und realistisch zu unterstützen, so dass der Projektumfang nicht ausufert und das eigentliche Ziel aus dem Blick gerät. Aufkommende Anpassungswünsche können durchaus sinnvoll sein, doch es gilt, richtig zu priorisieren. Nicht jede Detailfunktion muss zwingend zum Go-live umgesetzt sein.

LoB: Ist das ein Plädoyer dafür, möglichst wenig Neuerungen einzubauen?
Breitenstein: Keinesfalls, es ist nicht sinnvoll, das alte System eins zu eins in der neuen Lösung nachzubauen – dann wäre ein Umstieg erst gar nicht notwendig. Jede Migration verfolgt übergeordnete Ziele: Prozesse zu vereinfachen oder zu standardisieren. Das darf nicht aus den Augen gelassen werden. Hier kommt ein solides Change-Management zum Tragen. Es gilt, alle Mitarbeitenden in allen Bereichen mitzunehmen. Oft kann es helfen, aufzuzeigen, welche Vorteile sich durch einen vermeintlichen Mehraufwand zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle ergeben. Sowohl im Bereich Scope-Management als auch im Change-Management haben wir als externe Spezialisten den Vorteil, dass wir neutral argumentieren können und nicht Teil des internen Beziehungsgeflechts im Unternehmen sind. So können wir bei Bedarf in strittigen Fragen vermitteln oder vorhandene Probleme offen ansprechen. Internen Kollegen mag das zurecht schwerfallen, doch wir können unsere Neutralität und Erfahrung einsetzen, um das Projekt bestmöglich zum Erfolg zu bringen.

Rainer Huttenloher

BE-terna GmbH

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