Große Unterschiede bei Bestands- oder NeukundenS/4HANA: Mit Echtzeit in die Neuzeit?
8. August 2018In einer aktuellen internationalen IDC-Umfrage gaben mehr als zwei Drittel der befragten SAP-Kunden an, SAP S/4HANA entweder bereits implementiert zu haben oder eine Einführung zu planen. Im Neukunden-Segment sieht dies allerdings anders aus. Hier scheinen viele, die mit einer SAP-Lösung liebäugeln, noch abwarten und aus den Fehlern der Konkurrenz lernen zu wollen. Manche Bestandskunden sind allerdings beim S/4HANA-Thema ebenfalls noch zurückhaltend, da ihr SAP-System schon seit vielen Jahren im Einsatz und der Migrationsprozess aufwendig ist.
Großes Potenzial
Die Umfrage-Ergebnisse der Marktforscher von IDC decken sich mit den Erfahrungen von Thomas Mader, Managing Consultant bei der Phoron Consulting: „Viele Bestandskunden sind an sich gespannt auf die neuen Möglichkeiten der SAP-HANA-Technologie und der darauf aufbauenden SAP-S/4HANA-Lösung. Hier ist der Schritt nicht zu weit, da ja schon SAP-Knowhow im Unternehmen vorhanden ist.“ Diejenigen SAP-Anwender, die einer SAP-HANA-Einführung skeptisch gegenüberstehen, fürchten allerdings besonders den hohen Aufwand, sowohl auf der Kosten- als auch auf der Personalseite, so die Studie.
Bei Neukunden sind zunächst einmal die Einstiegshürden zu überwinden, die jedes großes Implementierungsprojekt mit sich bringt. Vieles muss neu erklärt werden, z. B. wie etwa der Order-to-Cash-Prozess standardisiert abgewickelt wird. Zu einem gewissen Grad informieren sie sich aber selbst. „Das Interesse an einer SAP-Einführung ist mit SAP S/4HANA bei den Neukunden merklich gewachsen, was auch mit der gestiegenen Qualität des Produkts zu tun hat“, ergänzt Mader. „Hier stehen bei Phoron einige Projekte in der Pipeline.“
Das Interesse an neuen IT-Systemen ist im Zeichen der fortschreitenden Digitalisierung in Unternehmen und Gesellschaft nicht verwunderlich. Dass sie reagieren müssen, haben auch die IT-Verantwortlichen branchenweit erkannt. In einer aktuellen Adobe-Studie wurden sie zu den Erfolgsfaktoren, Herausforderungen und Hindernissen der digitalen Transformation befragt. Neben dem Datenschutz (54%) als wichtigstem Erfolgsaspekt sind vor allem optimale digitale Abläufe (49%) und die Zusammenführung von Informationen für eine bessere Kundensicht (36%) entscheidend.
Die größten Hindernisse neben dem Silodenken in den Abteilungen und bürokratischer Prozesse (42%) sind Schwierigkeiten bei der Integration von alten Systemlandschaften mit neuen Technologien (41%), so die Studie. Bringt man Erfolgsfaktoren und Herausforderungen zusammen, ist die Zeit eigentlich reif, um auf eine einheitliche, umfassende IT-Plattform ohne Schnittstellen umzusteigen, die alle Unternehmensprozesse durchgehend in einem System abbilden kann.
„Durch die In-Memory-Technologie und die vollintegrierten Geschäftsbereichslösungen lassen sich mit SAP S/4HANA beispielsweise bereichsübergreifende Echtzeit-Datenabfragen und -Auswertungen durchführen“, so Mader. Zudem erhoffen sich die IT-Experten durch nahtlos ineinandergreifende, teils automatisierte Abläufe oder maschinelles Lernen Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen.
Thomas Mader: „Wir als SAP-Berater haben in den letzten zwei Jahren wesentlich an S/4HANA-Know-how dazugewonnen. So wurden Demo-IT-Landschaften aufgebaut, um die neue Infrastruktur zu testen. Es gab zudem Schulungen und Events der SAP, in der wir einerseits das Produkt besser in der Tiefe kennenlernen und andererseits den Übergang vom jetzigen ERP- auf das SAP-HANA-System trainieren konnten. S/4HANA wurde auch bereits bei Neukunden erfolgreich eingeführt.“
Neukunden zögern noch
„Bei Neukunden bedeutet die Neueinführung von SAP S/4HANA einen sehr großen Schritt von einer bisher wenig digitalisierten, in eine stark digitalisierte Welt, was deren Zurückhaltung zum Teil erklärt“, meint Mader. Diese Hemmschwelle besteht aber auch bei anderen großen Implementierungsprojekten. So müssen Geschäftsprozesse überdacht, geprüft und ins neue IT-System überführt werden, die bis jetzt über eine alte ERP-Software, eigenentwickelte Insellösungen oder eben über Excel abgewickelt wurden.
Viele warten lieber noch ab und beobachten genau, wie sich Implementierungsprojekte bei Wettbewerbern entwickeln. Bei den Bestandskunden gibt es ebenfalls die Zögerlichen. „Entscheidend für den Projekterfolg sind hier zum einen die Demonstration von Mehrwerten der neuen Lösung, zum anderen aber auch ein gutes Change Management“, erklärt Mader. „Mitarbeiter und Abteilungen müssen überzeugt werden, eine Software anzunehmen, bei der künftig keiner mehr machen kann, was er will.“ Abläufe im Unternehmen müssen nun bestimmen Pfaden folgen, Anwender zum Beispiel in vorgegebene Belege hineinarbeiten. Thomas Mader: „Diese integrierte Systemlandschaft muss man den Neukunden erst einmal näher bringen, Vorteile konkret aufzeigen und über Key-User an die Belegschaft weitervermitteln.“
Bei Bestandskunden bietet ein Release-Wechsel ebenfalls die Chance, veraltete Prozesslandschaften effizienter und damit zukunftsfähig zu gestalten. Zudem endet im Jahr 2025 (so der derzeitige Stand) die Wartungsunterstützung für SAP ERP. Für große SAP-Migrationsprojekte ist das zeitlich nicht mehr weit weg. Deshalb müssen sich Unternehmen in den nächsten zwei bis drei Jahren entscheiden, wann sie das Projekt angehen wollen.
Mader: „Auffällig bei Bestandskunden ist: Sie beginnen die alten Datenbanken durch HANA-Datenbanken auszutauschen, ohne aber direkt auf S/4HANA zu wechseln. Damit ist die technische Vorarbeit geleistet, die gleichzeitig eine gute Vorbereitung auf den Wechsel zu SAP S/4HANA darstellt.“ Die Umstellung auf die HANA-Technologie bedeutet, dass die Vorteile der Plattform überwiegend als erwiesen gelten. „Über die Sinnhaftigkeit der Datenbank wird nicht mehr diskutiert“, bestätigt Mader, „da führt im Prinzip kein Weg dran vorbei.“
Konkrete Verbesserungen
Das klingt nach einem Erfolg für SAP. So lässt der Weltkonzern berichten, dass viele Unternehmen schon die Lizenz für SAP S/4HANA besitzen würden bzw. bereits gewechselt hätten. „Phoron liegen hierzu aber bisher keine belastbaren Zahlen vor“, stellt Mader fest. „Unsere Einschätzung in Österreich hinsichtlich Produktiveinsatz von S/4HANA – vor allem auch des Logistik-Bereiches der Software – bewegt sich gerade einmal im einstelligen Bereich.“
Ein Grund dafür sei, dass Evaluierungs- bzw. Pilot-Projekte gerne schon als tatsächliche Komplettumstellung gezählt werden. Es fehle jedoch auf Seiten der Berater noch an Erfahrung, den Aufwand solcher Migrationsprojekte richtig einschätzen zu können. „SAP ist technisch betrachtet keine mathematische Formel, bei der am Ende ein festes Ergebnis steht “, so Mader. „Deshalb möchte auf Seiten der Kunden auch keiner der Erste sein.“ Die Unternehmen warten lieber noch, bis sich ausreichend Erfahrungswerte in der Branche und bei den Beratungsunternehmen angesammelt haben. In ihrer Rechnung ließe sich erst dadurch das Projektrisiko deutlich reduzieren bzw. besser kalkulieren.
Im Bereich Business Cases besteht ebenfalls noch Nachholbedarf. Diese nehmen zwar mehr und mehr zu, aber nicht jedes Beispiel ist für jedes Unternehmen interessant. Der Monatsabschluss ist dagegen ein gutes Beispiel, da er sowohl kleine Firmen als auch große Konzerne betrifft. Hier lässt sich auch den Anwendern des Fachbereichs gut aufzeigen, dass sie z. B. mit der neuen Lösung statt fünf nur noch zwei Tage dafür benötigen, da viele Prozesse nun automatisiert ablaufen können.
„Eine wichtige Aufgabe von uns Beratern wird sein, zum einen mit den Erkenntnissen aus unseren Demo-Systemen und zum anderen anhand von Kundenreferenzen zu untermauern, dass sich Prozesse und spezifische Arbeitsschritte mit der neuen SAP-Lösung tatsächlich optimieren lassen“, beschreibt Mader. „Der Anspruch an Berater muss sein, auch die Aspekte anzuführen, die in der Lösung nicht gut gelöst sind, um hier gemeinsam mit dem Kunden eine spezifische Lösung zu erarbeiten.“
Marian Spohn
ist Fachredakteur in Sindelfingen.
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