Offenheit und Kundenorientierung übernehmen SchlüsselrolleDigitalisierung gestaltet Produktportfolio neu
4. Oktober 2017Die Herausforderung bei der Neugestaltung des Produktportfolios liegt für Unternehmen darin, die Erneuerung existierender Produktsparten und die Entwicklung neuer digitaler Produkte unter einen Hut zu bringen. Die Streaming Angebote von Netflix und Amazon dienen als Beispiel dafür. Sie zwingen traditionelle Telekommunikationsunternehmen und Kabelgesellschaften dazu, mit eigenen Internet-Video-Lösungen zu reagieren. Diese neue Sparte im Produktportfolio steht jedoch meist in Konkurrenz zu bereits bestehenden Breitband- und Telefonie-Produkten, die ihrerseits durch völlig andere Geschäftsmodelle, Regularien, Preisstrukturen und Kundenanforderungen geprägt sind.
Alt versus Neu
Unternehmen haben im Zuge der Digitalisierung die Wahl: Entweder gelten sowohl für alte als auch neue Produkte identische Entwicklungszyklen, Organisationsstrukturen und Anwendungen oder beide Sparten werden strikt getrennt, obwohl sie vielleicht sogar dieselben Zielgruppen ansprechen.
Deswegen stellt der Umgang mit dem bereits bestehenden Produktportfolio und der Entwicklung neuer digitaler Produkte und Lösungen viele Unternehmen vor neue Herausforderungen:
• Neue Geschäftsmodelle: Sie der Digital Natives bringen Markt- und Wettbewerbsstrukturen ins Wanken. Sahen sich beispielsweise Einzelhandelskonzerne früher ausschließlich mit anderen Einzelhändlern konfrontiert, existieren heute mit Online-Versandhäusern neue Wettbewerber mit neuen Geschäftsmodellen. Anstatt sich also wie bisher auf die Steigerung des Umsatzes und der Marktanteile zu fokussieren, müssen Unternehmen umdenken.
• Umsatzkannibalisierung: Digitale Unternehmen punkten meist mit einer aggressiven Preispolitik. Passen traditionelle Unternehmen ihre Preise daran an, müssen sie über kurz oder lang mit Umsatzeinbußen in den bestehenden Produktsparten rechnen. Erwirtschaften die neu entwickelten Produkte und Lösungen nicht ausreichend Umsatz, um diese Einbußen auszugleichen, kommt es im Unternehmen zu einem gravierenden Rückgang des Nettoumsatzes.
• Gesetzliche Auflagen: Unternehmen in stark regulierten Branchen wie dem Finanzwesen oder dem Telekommunikationsbereich, haben mit deutlich strengeren Auflagen zu kämpfen als ihre digitalen Wettbewerber. Das macht es schwieriger, schnell und effizient auf neue Marktanforderungen zu reagieren.
• Innovationen und Produktentwicklung: Mit der steigenden Verfügbarkeit von Open-Source-Technologien und -Anwendungen fahren digitale Unternehmen eine neue Produktentwicklungsstrategie als traditionelle Unternehmen. Diese Open-Source-Strategie bietet mehr Flexibilität, kürzere Produkteinführungszeiten und einen leichteren Zugang zu Expertenwissen. Traditionelle Unternehmen nutzen hier in der Regel noch interne Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die oftmals langsam, ineffizient und bürokratisch arbeiten. Setzt ein Unternehmen sowohl auf alte als auch neue Produkte, bedeutet das nicht nur zwei völlig unterschiedliche, verwaltungsintensive Produktentwicklungsprozesse, sondern auch einen enormen Zeit- und Kostenaufwand.
• Kundenerwartungen: Kunden erwarten heutzutage einen schnellen und personalisierten Service in Echtzeit und über alle Kanäle hinweg. Das betrifft nicht nur digitale Produkte und Services, sondern auch bereits vorhandene Produkte. In dieser Sparte ist es jedoch oftmals schwierig, schnell zu jeder Tages- und Nachtzeit auf Kundenwünsche zu reagieren.
Diese Probleme lassen Unternehmen häufig zögern, wenn es um die Umsetzung der digitalen Transformation im Unternehmen geht. Denn Unternehmen arbeiten oft nicht an einer ganzheitlichen digitalen Strategie, sondern transformieren nur einzelne Geschäftsbereiche. Dieses Prozedere führt jedoch zu ineffizienten, komplexen Prozessen, die Unternehmen davon abhält, sich den langfristigen Digitalierungszielen zu widmen.
Integrierter Lösungsansatz
Um diese Herausforderungen zu meistern, braucht es einen umfassenden, integrierten Lösungsansatz. Anstatt alte und neue Produktsparten separat zu betrachten, sollten Unternehmen übergreifende Kernkompetenzen entwickeln, die sich individuell auf die jeweiligen Produkte zuschneiden lassen. Auf diese Weise entstehen neue Synergien, die sich positiv auf die Markenpositionierung, das Kundenerlebnis und die Produkteinführungszeiten auswirken. Folgende Faktoren gehören zu einem nachhaltigen, integrierten Ansatz:
• Offenes Partnerökosystem: Ein offenes Partnerökosystem unterstützt Unternehmen dabei, der Koexistenz digitaler Angebote und bestehender Produkte Herr zu werden. Digitale Unternehmen setzen bereits auf Open-Source-Software und das Teilen ihres geistigen Eigentums mit einem Partnernetzwerk, um die Effizienz im Unternehmen zu erhöhen und eine Wertsteigerung zu gewährleisten. Um ein solches Ökosystem aufzubauen und gemeinsam an Produktinnovationen zu arbeiten, benötigt es ein starkes Partner-Onboarding, Richtlinien für diverse Entscheidungsprozesse und den Umgang mit Innovationen von der Idee bis hin zur Markteinführung. Auch muss der Schutz des geistigen Eigentums zu jeder Zeit gewährleistet sein.
• Der Kunde im Fokus: Um den Kunden in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken, muss ein Unternehmen erst seine Bedürfnisse und Wünsche verstehen, um dementsprechend handeln zu können. Traditionelle Unternehmen legen hier den Fokus oftmals noch auf eine schnelle Prozessdurchlaufszeit. Digitale Unternehmen wie Google oder Amazon richten bereits ihre Unternehmenskultur und Arbeitsabläufe auf den Kunden aus. Unternehmen sollten hier die Customer Journey und das Kundenerlebnis für jedes einzelne Produkt verbessern. Das kann durch die Personalisierung von Services, Empfehlungen oder durch den Einsatz von Design-Thinking-Modellen geschehen. Machine Learning wird ein zentraler Faktor der Interaktionen mit Kunden werden, um deren Anforderungen zielgerichteter zu verstehen und zu erfüllen.
• Mehr Agilität: Um Arbeitsabläufe zu beschleunigen, Entscheidungen zu dezentralisieren und der Bürokratie entgegenzuwirken, müssen Unternehmen in der Lage sein, über alle Abteilungen hinweg flexibler zu agieren. Ein erfolgreicher Ansatz umfasst eine Matrix-Struktur und Governance-Modelle, die dezentrale Entscheidungsfindungen fördern. Eine neue IT-Struktur trägt ebenfalls zu diesem Prozess bei.
• Neue Geschäftseinblicke: Daten und ihre Analysen sind der Treibstoff des digitalen Geschäfts. Jedoch haben viele traditionelle Unternehmen diesen noch nicht in ihre Entscheidungen und die Entwicklung neuer Produkte integriert. Um das erfolgreich umzusetzen, muss vor allem auf Führungsebene ein Umdenken stattfinden, um den Wert und die Algorithmen zu verstehen, die für die neuen Einblicke verantwortlich sind. Gerade Mitarbeiter mit regelmäßigem Kundenkontakt nutzen diesen Datenschatz noch viel zu selten. Jedoch bringt gerade das direkte Feedback der Kunden einen enormen Mehrwert für Unternehmen. Analysen und Künstliche-Intelligenz (KI)-Plattformen helfen beim Management der Datenmengen und dem Aufbrechen von Datensilos. So erhalten Unternehmen einen 720 Grad Blick auf das Kaufverhalten ihrer Kunden sowie ihre Bedürfnisse und Wünsche, in der neuen und alten Produktwelt.
• Optimierung der Geschäftsmodelle: Gerade bei bestehenden Produkten sind bestimmte Prozesse bereits seit Jahren fest etabliert. Das digitale Business ist schnelllebig und lebt von dynamischen Geschäftsmodellen, die sich ständig weiterentwickeln. Unternehmen müssen also die Kompetenz entwickeln, ihre Modelle stetig anzupassen, um im Wettbewerb zu bestehen.
Ein umfassender integrierter Ansatz hilft so Unternehmen, die Aktualisierung von traditionellen und neuen, digitalen Produkten zu meistern. Dazu ist ein Umdenken im Unternehmen notwendig, um einen reibungslosen Übergang in die digitale Welt von morgen zu garantieren.
Tom Lurtz
ist Associate Partner und Leiter Digital Transformation Practice bei Infosys Consulting.