Herausforderungen für die FertigungsindustrieNur Intelligenz schafft neue Geschäftsmodelle
17. Februar 2020In Abkehr von den bisherigen Adoptionszyklen neuer Technologien wird der Fokus der Fertigungsbranche im Jahr 2020 nicht allein in der schrittweisen Verbesserung bestehender Prozesse liegen. Stattdessen werden Innovationen wie Künstliche Intelligenz (KI) und 5G ihren Weg in neue Geschäftsmodelle finden, die die gesamte Branche grundlegend verändern.
Eine höhere Produktivität der Mitarbeiter ist für Unternehmen der wichtigste Vorteil einer KI-Lösung. Die Mehrheit plant jedoch nicht, Arbeitsplätze zu streichen. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie des Medienunternehmens IEN und des Marktforschungsunternehmen CINT im Auftrag von IFS. Ihr zufolge planen mehr als 90 Prozent der Unternehmen derzeit, in Künstliche Intelligenz (KI) zu investieren.
Den größten Vorteil (60 Prozent) von KI sehen die in der Studie Befragten in einer gesteigerten Produktivität der Mitarbeiter. Fast die Hälfte (47 Prozent) der Befragten gab zudem an, KI zu nutzen, um Produkte und Services mit höherem Mehrwert für ihre Kunden anbieten zu können. 18 Prozent wollen bestehende Arbeitskräfte durch KI ersetzen. Fast die Hälfte (44 Prozent) der Investitionen wollen Unternehmen im Bereich industrielle Automation tätigen. Weitere Bereiche, in denen sie vermehrt KI einsetzen wollen, sind Customer Relationship Management (CRM) sowie die Bestandsplanung (jeweils 38 Prozent).
Mehr Produktivität, aber keine Arbeitsplatzverluste
Die höhere Produktivität der Mitarbeiter werde keine negativen Auswirkungen nach sich ziehen: Laut Studie rechnet nur etwas mehr als ein Viertel (29 Prozent) der Befragten damit, dass sich die Belegschaft in ihrer Branche in den nächsten zehn Jahren aufgrund von KI verringern wird. Mehr als ein Drittel (35 Prozent) erwartet sogar einen Zuwachs an Arbeitsplätzen. Ein Viertel der Befragten (24 Prozent) erwartet keine signifikanten Veränderungen.
„Kurzfristig geht es bei KI nicht um den Ersatz von Mitarbeitern, sondern darum, sie zu unterstützen“, ergänzt Bob De Caux. Für den Vice President of Artificial Intelligence and Robotic Process Automation bei IFS bietet die KI-Technologie große Vorteile: „Sie kann Menschen mehr und bessere Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie schnellere und konsistentere Entscheidungen treffen können. Zudem wird KI zunächst vor allem monotone Aufgaben automatisieren.“
Innovation dank KI
Nach seiner Ansicht können sich Mitarbeiter auf andere wichtige Aufgaben konzentrieren, anstatt ihre wertvolle Arbeitszeit für repetitive Tätigkeiten zu verwenden. Sie haben, so De Caux, beispielsweise mehr Zeit, um innovative Ideen zu entwickeln und neue Lösungen für ihr Unternehmen und ihre Branche zu finden. Daher wird sich in einigen Bereichen eine höhere Produktivität weniger in den verkauften Stückzahlen als vielmehr in Form von Marktgeschwindigkeit, Designverbesserungen, oder der Möglichkeit, Endkunden eine bessere Technologie schneller zur Verfügung zu stellen, ausdrücken.
Als Auswirkungen des KI-Einsatzes in der Fertigungsbranche zeichnet sich ab, dass bis 2022 mehr als die Hälfte der Hersteller in KI investieren werden – und damit ihre Produktivität um mehr als 10 Prozent steigern wollen. IFS arbeitet eng mit seinen Kunden zusammen, um Machine-Learning-Anwendungen mit mehreren großen Datensätzen zu kombinieren und so Muster und Strategien zu identifizieren, die dem menschlichen Auge bisher entgangen sind.
Die meisten Fertigungsunternehmen setzen bereits auf Automatisierung – nicht nur im Werk, sondern auch im Front-Office, etwa im Qualitätsmanagement. Während Automatisierung die Prozesse rationalisiert, wird KI in der Lage sein, gänzlich neue Prozesse zu schaffen. Damit können Unternehmen zum Beispiel Qualitätsprobleme vorhersagen, bevor sie auftreten, oder KI-gestützt neue Geschmacksrichtungen kreieren, um den Geschmack des individuellen Kunden zu treffen.
Ein weiterer Bereich, der sich im kommenden Jahr weiterentwickeln wird, ist die KI-gestützte Nachfrageplanung. Wenn KI-Anwendungen auf die richtigen Datensätze geschult werden, sind Hersteller in der Lage, ihre Lieferkette mit Nachfrageprognosen abzugleichen, um daraus bisher nicht mögliche Erkenntnisse zu erhalten. Dies wiederum wird eine neue Denkweise der Unternehmen mit sich bringen, aus deren Sicht der Herstellungsprozess bisher in der Fabrik begann und endete.
KI wird dem Just-in-Time-Konzept eine ganz neue Bedeutung verleihen, denn sie erlaubt es einem Hersteller neue Fragen zu stellen: „Just in time – gerade rechtzeitig – für was genau?“ Was ist das Ereignis oder die Kombination von Ereignissen, die Wiederauffüllung auslösen sollen – ein Nachfragesignal, ein Preisabfall des Bauteils oder des Rohmaterials? All diese Erkenntnisse werden durch KI ermöglicht.
Mehr Maschinen als Menschen nutzen 5G
Bis zum Ende des Jahres 2020 werden mehr Produktionsanlagen über das 5G-Netz verbunden sein als Menschen. In der Fertigungsindustrie wird 5G seine größte Wirkung entfalten. Die latenzarme, zuverlässige Konnektivität ermöglicht es Sensoren von Industriemaschinen, miteinander zu kommunizieren und einen Datenschatz zu erzeugen, der durch Machine Learning neue Perspektiven für Kosteneinsparungen und Effizienz eröffnet.
Die verbesserte Kommunikation zwischen Maschinen führt nicht nur zu mehr Effizienz, sondern auch zur Automatisierung komplexerer Fertigungsmodelle wie Configure-to-Order und Make-to-Order. Mit 5G ist ein Grad der Automatisierung möglich, der bisher nur mit langfristiger Serienfertigung zu erreichen war. So können multivariate Produktionsläufe für kundenspezifische oder hochkonfigurierte Produkte ebenso wie regionale Massenanpassung automatisiert werden – mit geringerem menschlichem Eingriff als bisher.
Das B2B2C-Modell wird zur Konkurrenz für B2B
Fertigungsunternehmen geben sich nicht länger mit ihrem traditionellen Platz am äußersten Ende der Wertschöpfungskette zufrieden. Ihr Weg näher hin zum Verbraucher wird vom globalen Trend der Servitization unterstützt: Unternehmen ergänzen ihre Produkte durch Services für den Endkunden oder verkaufen sie als Service auf Abonnementbasis.
Bereits 2018 zeigten Daten von IFS, dass 62 Prozent der Hersteller vom Aftermarket-Umsatz profitierten – sei es durch Ersatzteile, Garantie oder proaktive Serviceverträge. 16 Prozent der Befragten boten Wartungsverträge mit spezifischen Service-Level-Agreements (SLAs) an, aber nur 4 Prozent der Hersteller boten Produkte vollständig mit Voll-Service an. Damit könnten Unternehmen ein Produkt über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg direkt unterstützen oder warten, auch wenn sie das Produkt über einen indirekten Vertriebskanal verkauft haben. So wird aus einem Fertigungsbetrieb ein Business-to-Business-to-Consumer-Unternehmen (B2B2C).
Die zunehmend direkte Kommunikation zwischen Endkunden und Hersteller in diesem B2B2C-Modell wird das Kundenerlebnis nachhaltig verbessern. Zudem wird das Modell der Umwelt zugutekommen, da die Anzahl gefertigten Teile und verwendeten Ressourcen den tatsächlichen Anforderungen für eine Aufgabe entspricht – und so nur das produziert wird, was Kunden auch tatsächlich benötigen. (rhh)