Kundenbeziehungen im Zeitalter der Chatbots Müssen Callcenter sterben?

17. Juli 2019

Bei Kunden waren Callcenter noch nie recht beliebt. Manch einer erinnert sich wehmütig an Zeiten, in denen man „seinen Sachbearbeiter“ einfach direkt anrufen konnte. Das war der Experte, der die jeweiligen Vorgänge kannte und wenn es besonders gut lief, auch noch den Kunden selbst, und der die fachliche Kompetenz hatte, die Sache selbst zu lösen. Das ist lange her. Die Trennung der fachlichen Verfahren vom Kundenkontakt war unter Kostenaspekten einfach zu überzeugend, erst recht seit sich spezielle Dienstleister der Angelegenheit annahmen. Seit zwei Jahrzehnten führt der Anruf bei jedem größeren Unternehmen unweigerlich in ein Callcenter.

Für einfache Aufgaben ist das in der Regel auch kein Problem: Wer eine Gebrauchsanweisung, eine Bestätigung fürs Finanzamt oder einen Liefertermin benötigt, dem können die Mitarbeiter im Callcenter meist schnell weiterhelfen, dafür braucht es keine profunde Expertise, das lässt sich mit einer angemessenen Einarbeitung und standardisierten Fragekatalogen gut bewältigen. Schwieriger wird es, wenn die Aufgaben komplexer werden:

Wenn bei technischen Problemen auch das Callcenter nicht weiterweiß oder gar Sprach- und Verständnisschwierigkeiten hat, leidet das Kundenerlebnis. Vor dem Hintergrund einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation ist so etwas allerdings auch für das jeweilige Unternehmen suboptimal. Das gilt erst recht in Märkten, in denen die Mitbewerber nur einen Mausklick entfernt in Wartestellung sind. Die Servicequalität entscheidet hier oft über die Kundenbindung.

Der Chatbot kommt ins Callcenter

Neuerdings versuchen Unternehmen, die herkömmlichen Callcenter verstärkt durch Chatbots zu ersetzen, also durch mit Algorithmen automatisierten Dialogen; ein Verfahren, das letztlich aus den Sozialen Medien abgeleitet wurde. Künstliche Intelligenz (KI) erlaubt es, diese Robots so zu präparieren, dass sie auf die meisten Fragen der Kunden automatisch Antworten finden – natürlich möglichst bessere als bisher die Callcenter-Mitarbeiter.

Chatbots sind nicht nur flexibler einsetzbar – rund um die Uhr ist hier keine Frage – es gibt auch mehr und mehr Kunden, die ohnehin lieber chatten als mit einem, im Zweifelsfall eben auch nur semi-kompetenten Ansprechpartner zu reden. Was natürlich auch eine Generationenfrage ist: Jüngere Kunden haben in der Regel kein Problem, mit einem Bot zu kommunizieren.

Mit den Chatbots fällt den Callcentern etwas auf die Füße, was sie selbst in die Welt der Kundenbeziehungen eingeführt haben: die Kostenfrage. Chatbots sind unterm Strich deutlich billiger als Callcenter und mit der steigenden Leistungsfähigkeit der KI erweitern sich auch die Möglichkeiten der Bots.

Mittlerweile können sie nicht nur die Basics selbstständig abarbeiten – Gebrauchsanweisung, Bestätigung, Liefertermin –, sondern auch einfachere technische Vorgänge erledigen: Wie schließe ich das Kabel an? Wie kann ich meinen Vertrag umwandeln? Wie läuft ein Umtausch ab? Es ist abzusehen, dass KI-Bots in Zukunft auch komplexere Aufgaben übernehmen werden.

Direkter Kundenkontakt nötig

Ist das Callcenter damit zum Untergang verurteilt? „Jein“ – tatsächlich werden einigermaßen „intelligente“ Chatbots viele Aufgaben übernehmen, die derzeit typischerweise im Callcenter erledigt werden und insoweit werden sie die Callcenter durchaus ersetzen. Aber die Frage der Kundenbeziehungen insgesamt ist damit ja nicht gelöst. Es wird immer Aufgaben geben, für die der direkte Kundenkontakt unerlässlich ist; das gilt vor allem für Beschwerden und Reklamationen: Wer sich über einen Anbieter geärgert hat, möchte seinen Dampf nicht bei einem Automaten ablassen, sondern bei jemandem, der ihm wirklich zuhört und auch eine angemessene Lösung weiß.

Solche Aufgaben werden nicht zurück in die Fachabteilungen wandern. Dafür sind diese mittlerweile zu hoch spezialisiert, zu sehr in ihre Verfahren verwoben und vielerorts sind sie, nachdem sie den Kontakt zu den Kunden weitgehend verloren haben, auch entsprechend geschrumpft. Umgekehrt sind die Spezialisten für Kundenbeziehungen genau dafür geschult. Ein „Rückbau“ wäre hier wirtschaftlich nicht sehr sinnvoll.

Stattdessen wird man das Callcenter, soweit verblieben, aufwerten: Was der Chatbot nicht erledigen kann, wird ein optimiertes Callcenter übernehmen. Und auch dafür stehen die Verfahren der KI zur Verfügung. Sie können die Mitarbeiter im Callcenter unterstützen, etwa durch Next-Best-Action-Lösungen, die dem Mitarbeiter kontextbezogene Vorschläge machen; und das ist weit wirksamer als die traditionellen Frage-Antwort-Schemata. Die KI kann den Callcentern insofern genau die Kompetenz zurückgeben, die die Kunden dort immer wieder vermisst haben.

Carsten Rust ist Senior Director Client Innovation EMEA bei Pegasystems

Pegasystems

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