SAP und Camelot: Paradigmenwechsel im Supply Chain ManagementFokussiert auf bedarfsgesteuerte Materialbedarfsplanung
3. Mai 2019Im Rahmen einer strategischen Co-Entwicklungspartnerschaft wollen SAP und Camelot ITLab eine Lösung entwickeln, mit der das Modell der bedarfsgesteuerten Materialbedarfsplanung in SAP Integrated Business Planning (SAP IBP) integriert wird. Das Angebot soll schnelle und flexible Prozesse für die Abwicklung der Gesamtlogistikkette ermöglichen.
In den traditionellen Planungssystemen bilden Prognosen der Kundennachfrage die Grundlage für die Produktionsentscheidungen. Das funktioniert allerdings nur gut in einem stabilen und vorhersagbaren Geschäftsumfeld, wie es bei der Einführung von MRP-Systemen in den 1950er Jahren der Fall war. Zwischenzeitlich haben sich die Rahmenbedingungen stark verändert: Komplexere Netzwerke und wachsende Produktportfolios erhöhen den Planungsaufwand. Zusätzlich führen immer kürzere Produktlebenszyklen und sich verändernde Kundenanforderungen zu erhöhten Unsicherheiten und steigender Volatilität.
Bei der bedarfsgesteuerten Materialbedarfsplanung („Demand-Driven Material Requirements Planning“ – DDMRP) werden im Gegensatz zu traditionellen Planungssystemen Produktionsaufträge und Bestellungen nicht auf Basis von fehleranfälligen Prognosen getätigt. Stattdessen wird eine Supply Chain durch strategische Lagerungspunkte entkoppelt und entsprechend der tatsächlichen Kundennachfrage gesteuert. So lassen sich Schwankungen in einer Supply Chain reduzieren und der Materialfluss stabilisieren. Mit dieser Form der Supply-Chain-Steuerung werden kosten- und kapazitätsintensive Korrekturmaßnahmen zur Sicherung der Servicequalität umgangen.
DDMRP – die Methodik
Die bedarfsgesteuerte Materialbedarfsplanung ist in fünf Schritte gegliedert, die zyklisch durchlaufen werden. Sie umfassen die Positionierung von Entkopplungspunkten („Position“), die Festlegung von Bestandsgrenzwerten („Protect“) sowie die konkrete Planung und deren Ausführung („Pull“).
Das „Strategic Decoupling“ legt im ersten Schritt fest, auf welchen Stufen der betrachteten Supply Chain Bestände an Fertig- und Zwischenprodukten sowie sonstigen Materialien gehalten werden sollen. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen zur Bestandsoptimierung in mehrstufigen Netzwerken werden dabei über eine Kostenminimierung hinausgehende Faktoren berücksichtigt (bspw. Variabilitätseinflüsse). Darüber hinaus werden die entkoppelten Durchlaufzeiten, d.h. die Lieferzeiten zwischen zwei Entkopplungspunkten, ermittelt, welche sich als Summe der individuellen Lieferzeiten zwischen zwei Entkopplungspunkten ergeben.
Im zweiten Schritt „Buffer Profiles and Levels“ gehen diese dann in die Festlegung von Bestandsobergrenzen und damit die Dimensionierung der Puffer ein. Dabei wird ein intuitives Farbschema verwendet, welches Puffer in rote, gelbe und grüne Zonen einteilt. Diese Einteilung basiert auf der Nutzung des jeweiligen Bestandes. Während der Bestand der roten Zone dazu dient, starken Schwankungen und unerwarteten Bedarfen in der Supply Chain zu begegnen, entspricht der Bestand der gelben Zone dem zu erwartenden Bedarf über die Lead Time bis zum nächsten Entkopplungspunkt. Über die Größe der grünen Zone werden Bestellungen generiert und deren Häufigkeit festgelegt.
Dynamic Adjustments als dritter Schritt
Im dritten Schritt, den „Dynamic Adjustments“, sind nachfolgend manuelle Anpassungen dieser automatisch berechneten Puffer möglich. Dadurch können Veränderungen bzw. kurzfristige Anpassungen der Inputparameter oder auch Erfahrungen der Planer berücksichtigt werden. Die Erfahrungen der Planer sind dabei insbesondere im Hinblick auf dynamische Marktentwicklungen wie bspw. Trends, Saisonbewegungen oder auch größere Verkaufsaktionen von Bedeutung.
Das „Demand-Driven Planning“, der vierte Schritt, dient der Generierung von Bestell- bzw. Produktionsaufträgen an den einzelnen Lagerungspunkten, welche von der sogenannten „Net Flow Position“ abhängen. Diese setzt sich zusammen aus dem verfügbaren Lagerbestand und den noch ausstehenden Lagerzugängen, welche um einen bestimmten Teil der zukünftigen Nachfrage, dem sogenannten „Qualified Demand“, reduziert werden. Dieser umfasst alle Nachfragemengen, deren Fälligkeitstermin in der aktuellen Periode oder der Vergangenheit liegt, und alle einen gegebenen Schwellwert übersteigende Nachfragemengen mit Fälligkeitstermin in der Zukunft. Sobald die „Net Flow Position“ in die gelbe Zone fällt, wird eine Bestellung ausgelöst, welche diese wieder auf die Höhe der grünen Zone bringt.
Schließlich wird bei der „Visible and Collaborative Execution“ im letzten Schritt dem Planer Unterstützung in der Ausführung angeboten, indem eine Priorisierung von Bestellaufträgen vorgenommen wird. Diese Priorisierung erfolgt dabei nicht anhand von Fälligkeitsterminen, sondern basierend auf dem Pufferstatus, welcher den aktuellen Bestand mit den Puffergrößen ins Verhältnis setzt. Dadurch wird mit minimalem manuellem Aufwand sichergestellt, dass Bestände umso stärker priorisiert werden je stärker sie verbraucht worden sind.
Anwendung und Mehrwert
Bereits 2017 haben SAP und Camelot ITLab im Rahmen eines Co-Innovationsprojektes die Lösung „DDMRP for SAP IBP“ entwickelt, als erste Erweiterung von SAP Integrated Business Planning (IBP). Die Lösung unterstützt alle fünf beschriebenen Schritte und wurde vom Demand Driven Institute (DDI) als „DDMRP compliant“ zertifiziert. Führende, international agierende Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen setzen das DDMRP-Konzept bereits erfolgreich ein.
Mit der Einführung erzielen sie eine signifikante Reduzierung der Variabilität sowie eine Stabilisierung des Materialflusses in ihrer Supply Chain. Dadurch profitieren sie von einer deutlich verbesserten Servicequalität und erhöhten Agilität der Supply Chain aufgrund einer Verringerung der Durchlaufzeiten um bis zu 85%. Zusätzlich lassen sich Bestandsverringerungen um bis zu 70% und Kostenreduktionen um bis zu 20% realisieren, bei gleichzeitiger Steigerung des Service-Levels hin zum Kunden.
Bezogen auf das Supply Chain Management stellt das innovative DDMRP-Konzept den größten Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte dar. Die Kombination eines revolutionären Konzepts mit modernsten Technologien bietet für Unternehmen erhebliche Mehrwerte. Die kürzlich bekanntgegebene Kooperation zwischen SAP und Camelot ITLab für die Entwicklung von DDMRP in SAP IBP sorgt dafür, dass DDMRP auf globaler Ebene noch einfacher in SAP-Systemen umsetzt werden kann und Unternehmen noch schneller von signifikanten Effizienzsteigerungen profitieren.
Florian Sämann ist Head of Competence Center Integrated Business Planning bei der Camelot ITLab GmbH