Herausforderungen im Supply-Chain-Management der Zukunft:Risikomanagement stabilisiert Lieferketten
17. März 2023In der Covid-19-Krise haben sich Herausforderungen der Lieferketten über alle Branchen und Sektoren hinweg aufgetan. Gezeigt hat sich einerseits die unzulängliche Flexibilität auf verschiedenen Ebenen der Lieferketten wie auch Schwachstellen der Beschaffungsstrategien. Dies muss Weckruf für viele Unternehmen und Verantwortliche im Supply-Chain-Management sein, um ihre Lieferkettenstrategien anzupassen und über Maßnahmen nachzudenken, die Resilienz der Unternehmen gegen Störungen in der Zukunft zu verbessern oder rechtzeitig Risiken zu erkennen.
Besondere Relevanz kommt in diesem Kontext der Steuerung und Entwicklung von komplexen Liefernetzwerken zu – eine Aufgabe, die bei den Unternehmen zukünftig immer größere Bedeutung findet, vor allem auch unter dem Aspekt der Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Die letzten Jahre waren vor allem durch Krisen für die Wirtschaft geprägt: die Covid-19-Pandemie – verbunden z.B. mit der Zero-Covid Politik der chinesischen Regierung – der Krieg in der Ukraine oder Naturkatastrophen, um nur einige zu nennen.
Die Herausforderung auch für die deutsche Industrie ist, auf diese geostrategischen Herausforderungen eingehen zu können. Die Auswirkungen sind direkt spürbar, etwa als bei Audi in Neckarsulm die Fließbänder stillstanden, was als eine direkte Auswirkung des Lieferengpasses durch den Krieg in der Ukraine und durch den Lockdown in China darstellt.
Es ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft weiterhin erhebliche Störfaktoren in den Lieferketten geben wird. Wenn es nicht gelingt, auf diese und andere Probleme adäquat zu reagieren und rechtzeitig die Anzeichen für eine „Unsicherheit“ zu erkennen, kann dieser Sachverhalt im ärgsten Falle geopolitisch sogar das „Aus“ für einige Industrieunternehmen bedeuten.
Supply-Chain-Management als Kernaufgabe der Unternehmen
Eine wesentliche Lehre aus den jüngsten Lieferausfällen ist, dass das Supply-Chain-Management zu einer Kernaufgabe der Unternehmensführung werden muss. Doch noch immer wird der Bereich Logistik und Supply Chain nicht als Teil der Wertschöpfung verstanden, sondern allenfalls als unterstützende Funktion, was sich unter anderem daran zeigt, dass die Relevanz der Lieferketten oft nicht organisatorisch auf der Führungsebene der Unternehmen abgebildet wird – etwa durch Vorstandsposten für das Supply-Chain-Management.
Die schlechteren Prognosen auf die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren unterstützen diese Perspektive: Der IWF korrigierte seine ohnehin bereits schlechte Prognose für das Jahr 2023 noch einmal nach unten auf lediglich 2,3 Prozent und für die Eurozone sei 2023 ein Wachstum von 0,7 Prozent zu erwarten.
Neben dem Krieg in der Ukraine und dem Lockdown in China ist auch die Inflation ein wesentlicher Krisenfaktor. Die prognostizierte Entspannung für Frühjahr und Sommer 2022 ist ausgeblieben. Weitere Probleme sind in der nahen Zukunft absehbar. Viele Unternehmen füllen ihre Lagerhäuser, bei heutzutage schwindenden Warehouse-Kapazitäten. Aber ist das die einzige Strategie?
Neue geopolitische Herausforderungen
Geopolitisch kann man die Entwicklung der Lieferkettensituation mit einer Blockbildung vergleichen, in deren Mitte es zu neuen Herausforderungen kommt. Zu nennen sind hier z.B. die Märkte, die in Verbindung mit der chinesischen Initiative einer neuen Seidenstraße stehen oder der eurasische Raum mit seinen Zukunftsmärkten, der sowohl das Interesse Chinas wie auch der USA geweckt hat.
Die Länder der EU stehen genau zwischen den beiden Supermächten und ihren Auseinandersetzungen um den Einfluss in den eurasischen Regionen. Eine Folge dieses Konfliktes sind Handelsbeschränkungen und Zölle zwischen den USA und China, die wiederum die Lieferketten der EU empfindlich treffen. Des Weiteren könnte der Konflikt zwischen China und Taiwan als ein Land, das in der Halbleiterproduktion maßgeblich ist, zu einem erheblichen Risiko führen, welches die Lieferketten massiv beeinflussen könnte.
Digitalisierung und Monitoring bieten Lösungen
Mögliche Lösungen dieser Probleme können in der Transparenz, der Digitalisierung und im stärkeren Monitoring der Lieferkette liegen; weitere notwendige Maßnahmen sind die kontinuierliche Bewertung der Lieferanten-Beziehungen, eine Automatisierung der Lieferkette wie auch eine Steigerung der frühzeitigen Engpasserkennung im Netzwerk. Dazu kommen weitere Bausteine, um die globalen Lieferketten robust und resilient zu machen und zu gestalten. Grundlegende Aspekte an das zielkonforme Supply-Chain-Management sind:
- kontinuierliche Risikobewertung.
- Flexibilisierung und Diversifizierung in der Sourcing Strategie,
- Supply Risk Management Systeme,
- vorbeugende und allumfassende Bewertung,
- Digitalisierung und SCM-Plattformtechnologien,
- effizientes Netzwerk-Monitoring,
- Integration von Frühwarnsystemen sowie
- konsequentes Lieferantenmanagement.
Um auch in einer Krise die Lieferkette funktionierend und stabil aufrecht erhalten zu können, bedarf es vor allem der Flexibilisierung der Supply Chain. Bereits in der Corona-Pandemie haben sich zahlreiche Schwachstellen in der Ausrichtung der Lieferketten gezeigt, was zu starken Beeinträchtigungen und Störungen der Lieferketten unterschiedlicher Branchen geführt hat.
60 Prozent aller Unternehmen geben an, dass sie durch die Covid-19 Pandemie Störungen hinzunehmen hatten – dementsprechend sind Unternehmen auch zu Maßnahmen bereit, um die Resilienz ihrer Lieferketten zu erhöhen, vor allem durch eine Steigerung ihrer Transparenz und Flexibilität in Einkauf und Beschaffung. Die Hinzunahme alternativer Bezugsquellen sowie eine allumfassende Bewertung inklusive aller Risikofaktoren stellen dabei wichtige Instrumente dar, um schnell auf Angebots- und Nachfrage-Änderungen reagieren zu können.
Anforderungen aus dem LkSG
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der seit Anfang 2023 zu berücksichtigen ist, ist das LkSG. Es schreibt umweltbezogene Sorgfaltspflichten vor, damit Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten künftig verhindert werden. Es gilt für Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihren Hauptgeschäftssitz, ihren Verwaltungs- oder Satzungssitz in Deutschland haben.
Um das Gesetz zu erfüllen, sollten Unternehmen Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien (ESG) entwickeln und umsetzen, die speziell auf die relevanten Compliance-Risiken in ihrer Lieferkette zugeschnitten sind. Daher müssen Unternehmen auch hier in einem ersten Schritt die Risiken innerhalb ihrer Lieferketten analysieren und bewerten, um geeignete Maßnahmen zum Risiko-Management ergreifen zu können. Die Unternehmen müssen alle ihre direkten Zulieferer erfassen, um eine grundlegende Risikobewertung durchzuführen.
An die Risikobewertung sollte sich die Einführung von Risikomanagementsystemen mit den zu definierenden Prozessen und Zuständigkeiten anschließen. Außerdem müssen Entwicklung und Umsetzung eines Aktionsplans zur Vermeidung bzw. Behebung von Risiken und Verstößen erfolgen. Wichtig ist ferner, dass die Risikobewertung und die eingeführten Verfahren regelmäßig überprüft, aktualisiert und verbessert werden.
Der Einsatz von digitalen Lösungen für ein umfassendes, automatisiertes Lieferketten-Management kann dazu beitragen, Risiken umfassend zu analysieren, angemessen zu bewerten und/oder in Ergänzung zu einem bereits implementierten Compliance-System zu verwalten. Solche Systeme wie z.B. die Sourcing-Plattform Merlin unterstützen dabei, der Sorgfaltspflicht für „faire Lieferketten” nachzukommen, systematische Beschaffungspraktiken zu etablieren, zu kontrollieren und die rechtlichen Bestimmungen des Lieferkettengesetzes einzuhalten.
Störungen rechtzeitig erkennen und vermeiden
Großes Potenzial, um Lieferketten robust zu gestalten, steckt aber auch in dem Ansatz, Störungen rechtzeitig erkennen und vermeiden zu können. Dafür müssen die volatilen Bedürfnisse und Bedarfe der Kunden und des Marktes mit den Anforderungen der eigenen Produktion und denen des Lieferanten-Netzwerkes immer in Einklang gebracht werden.
Die Lieferkette muss abhängig vom Lebenszyklus der Produkte und den Marktchancen bzw. Risiken realisiert, gesteuert und abgesichert werden. Es ist eine Reihe von Fragestellungen besonders relevant, wenn es darum geht, auf volatile Märkte und Bedarfslagen wie auch auf die verkürzte Lebensdauer von Produkten, auf reduzierte Anlauf- und Auslaufszenarien sowie auf Komponentenknappheit einzugehen. Interessant sind für ein solches Supply Chain Risk Management vor allem die folgenden Fragen:
- Wie kann eine signifikante Stabilität durch das effiziente Management des Lieferantennetzwerks und eine schnelle Reaktionsfähigkeit auf veränderte Marktbedürfnisse realisiert werden?
- Wie kann man strategisch und operativ konkret vorgehen, um erfolgreich zu sein?
- Wie können maximale Transparenz über das Steuerungsnetzwerk und eine kurzfristige Steuerungsmöglichkeit über mehrere Lieferstufen erreicht werden?
Es lassen sich drei Schwerpunkte in der Vorgehensweise unterscheiden:
- Strukturierung des Liefernetzwerkes unter Berücksichtigung der Flexibilisierung und Diversifizierung.
- Erfassung und Analyse von Leistungsdaten im Rahmen von Netzwerk-Monitoring und Frühwarnsystemen.
- Überprüfung kritischer Lieferanten durch vorbeugende und allumfassende Bewertung im Risk-Management.
Zudem liegt die Hauptaufgabe für ein effizientes Lieferanten-Management in der Fähigkeit, das Liefernetzwerk auch in einem volatilen Marktumfeld transparent zu haben wie auch zuverlässig steuern zu können. Die effektive Planung, Realisierung, Entwicklung und Steuerung von internen und unternehmensübergreifenden Liefernetzwerken ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor hierfür.
Nicht nur der erstmalige Aufbau einer Lieferkette, der zudem die Auswahl und Qualifizierung der Lieferanten beinhaltet und der schließlich in An-, Hochlauf und Betrieb von Produktion und Beschaffung übergeht, sollte meist im besonderen Blick des Unternehmensmanagements stehen und von allen Beteiligten unterstützt werden. Denn es schwindet häufig das Interesse für die Steuerung und Weiterentwicklung der Lieferkette, sofern ein laufender Betrieb erst einmal hergestellt ist – Lieferketten- und Beschaffungsmanagement geraten dann oft zunehmend in den Hintergrund.
Die Praxis jedoch zeigt, dass Performance-Defizite in der Lieferkette dann häufig betreuungsintensiv sind. Noch anspruchsvoller ist es, auf Volatilitäten auf der Bedarfsseite zu reagieren. Die Reaktion auf diese Herausforderungen ist aufwendig, weil Sonderabwicklungen abgebildet werden müssen oder zusätzliche Aktivitäten und Ressourcen zur Stabilisierung der Liefernetzwerke notwendig werden können, wie auch Kosten für eine Sonderabwicklung.
Weiterhin ist das Beheben der Ursache oder die Umstellung des Liefernetzwerkes auf eine neue Bezugsquelle und ggf. auf ein neues Stückzahlszenario arbeitsintensiv. Das liegt daran, dass zum einen in vielen Unternehmen die Möglichkeit, über SCM-Plattformtechnologien zu steuern, oft nicht existiert und zum anderen, dass es oft nicht als notwendig gesehen wird, Frühwarnsysteme und Supply Risk Management Systeme zu etablieren und die Netzwerke kontinuierlich für relevante Materialgruppen zu monitoren.
Es ist davon auszugehen, dass die Lieferketten auch in Zukunft in den Fokus geraten werden und dass Ausfälle Unternehmen in Ihrer Lieferfähigkeit einschränken. Die Lehren aus den vergangenen und gegenwärtigen Krisen müssen daher sein, dass das Supply Chain Management als Teil des Wertschöpfungsprozesses verstanden wird. Dadurch muss die besondere Relevanz für Erfolg und Bestehen eines Unternehmens auch in Organisation, Abläufen und Systemen für SCM abgebildet werden.
Heutige digitale Technologien bieten die dafür nötigen Ansätze, die Lieferketten zu managen und zu überwachen, um auf Volatilitäten im Markt sowie auf Änderungen von Verfügbarkeitslagen frühzeitig und angemessen reagieren zu können.
Dr. Jörg Pirron ist Managing Director bei der PROTEMA Unternehmensberatung GmbH und Dipl.-Ing. Michal Říha, Senior Manager & Mitglied der Geschäftsleitung PROTEMA Unternehmensberatung GmbH.