ERP-Lösungen für den industriellen MittelstandKommunikation als Schlüssel zum Erfolg
18. Oktober 2021Im industriellen Mittelstand schreitet die Vernetzung von Mensch, Maschine und Software sowie die damit verbundene nachhaltige, wandelbare, intelligente und effiziente Produktion voran. Auch die Produktentwicklung, die Logistik und der Kundenkontakt sind von dieser Verzahnung betroffen. Dementsprechend vielseitig müssen die nötigen IT-Komponenten sein, damit sowohl die Kommunikation zwischen sämtlichen Produktionsressourcen und den Mitarbeitern als auch die selbststeuernde Prozessoptimierung sowie die automatische Überwachung von Maschinendaten gelingen. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Zielsetzungen mittelständischer Unternehmen in ERP-Projekten ähnlich ambitioniert sind wie jene größerer Unternehmen.
In den meisten Unternehmen stehen ERP-Lösungen im Zentrum der betrieblichen Software-Landschaft und damit im Fokus der Digitalen Transformation. Sie werden nahezu flächendeckend von fast allen Unternehmen eingesetzt und integrieren dabei ein breites Spektrum betrieblicher Aufgabenfelder.
Aus ihrer zentralen Rolle als informationstechnisches Rückgrat des Unternehmens heraus, fungiert ERP-Software als Taktgeber für die Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette, die Automatisierung von Geschäftsprozessen und die Unterstützung von Entscheidungsprozessen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden vertikalen und horizontalen Vernetzung steuert sie sämtliche Prozesse und Anwendungen und integriert sie in den betriebs-wirtschaftlichen Kontext des Unternehmens.
Bei der Frage nach der Modernität zeigt sich jedoch, dass die aktuell in den Unternehmen eingesetzte ERP-Infrastruktur im Durchschnitt 11 Jahre alt ist, wobei die ERP-Systeme, die in mittleren und größeren Unternehmen eingesetzt werden, insgesamt sogar noch älter sind als die in kleineren Unternehmen.
Realitätscheck Anwenderbefragung
ERP-Anwender sind sich durchaus bewusst, an welchen Stellen sie ihre IT-Infrastruktur modernisieren und technologisch aufrüsten müssen, um den digitalen Wandel gestalten zu können. So schlägt sich beispielsweise der Marktführer im ERP-Segment wacker im Urteil seiner Anwender. Basierend auf Antworten von Unternehmen aus dem industriellen Mittelstand vergeben SAP-Anwender überdurchschnittliche Noten in der Vergleichsgruppe für die Stabilität des Systems, die internationale Einsetzbarkeit und auch Support-Updates / Release-Wechsel.
Umgekehrt bemängeln sie die Ergonomie (sicherlich auf das im Schnitt eher ältere Release zurückzuführen), das Preis-Leistungs-Verhältnis und den Aufwand zur Datenpflege. Unterdurchschnittlich schneiden insbesondere die SAP-Partner in den Punkten Beratung zur Einsatzoptimierung und der Anpassungsdokumentation ab, liegen insgesamt aber über dem Schnitt der Vergleichssysteme.
In der Auswertung von Befragten des industriellen Mittelstands kommen die Spezialisten CATUNO pro, winweb-food und FEPA überdurchschnittlich gut weg, dicht gefolgt von OpaccERP und BMD. Die diesjährige Studie bestätigt die mittlerweile etablierte Erkenntnis, dass „schlanke“ ERP-Lösungen, ausgesprochene Branchenlösungen und/oder Lösungen kleinerer Anbieter mit verhältnismäßig kleinem Kundenstamm in Sachen Anwenderzufriedenheit insgesamt am besten abschneiden.
Die besten der Lösungen, die tendenziell eher bei größeren Kunden zum Einsatz kommen, befinden sich dagegen im Mittelfeld. Die „kleineren“ ERP-Lösungen haben per se eine bessere Ausgangsposition als ihre „größeren“ Mitbewerber:
- Geringe Komplexität: Schlankere und/oder funktionale bzw. branchenbezogene klar fokussierte ERP-Systeme verfügen über eine geringere Komplexität, so dass Einführung und Administration/Aktualisierung weniger aufwändig und die Bedienung weniger erklärungsbedürftig sind. Gleichzeitig ist die ERP-Software meist in eine einfachere Software-Landschaft eingebettet bzw. wird als Stand-Alone betrieben.
- Enge Kundenbeziehung: Kleinere, lokale bzw. spezialisierte Anbieter verfügen aufgrund der überschaubareren Kundenbasis und ggf. auch auf-grund ihres Fach- bzw. Branchen-Know-hows über weitaus bessere Möglichkeiten, (persönliche) Beziehungen zu ihren Kunden intensiv zu pflegen und individueller zu gestalten.
Entsprechend schaut auch in diesem Vergleich die Verteilung aus, die internationalen Anbieter tun sich etwas schwerer im Vergleich. Vom NAV-Nachfolger Microsoft Dynamics 365 Business Central (BC) wünschen sich Anwender beispielsweise eine höhere Budgettreue, sind mit der Internationalität nicht so zufrieden und der Meinung, Updates und Release-Wechsel könnten leichter sein.
Mit der Umbenennung in Business Central wurde auch die Möglichkeit des sogenannten Overlayering – also des Überschreibens von Programmiercode in der Anwendung – eliminiert. Da auch diese Lösung nach dem Willen von Microsoft von den Anwendern als Cloud-Lösung genutzt werden soll, ist dies ein aus Herstellersicht notwendiger Schritt gewesen, denn nur so können die Updates unproblematisch für die Anwender eigespielt werden. Diese müssen sich dann um ihre Anpassungen oder genutzten Branchen-Templates kümmern, ob das Zusammenspiel noch funktioniert.
Nach recht guten Bewertungen in den Vorjahren kommt die im Vergleich zur Vorstudie deutlich schlechtere Bewertung von IFS Applications vielleicht etwas überraschend. Insbesondere im Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Wartungspartner – in den meisten Fällen der Hersteller IFS selbst – erfährt mit einer Verschlechterung um eine halbe Schulnote gegenüber 2018 fast schon einen „Absturz“.
Dies schlägt offenbar auch auf die Gesamtzufriedenheit mit der Software durch. Mit einem „Gut“ bewegt sie sich zwar noch im Mittelfeld des Segmentes der größeren ERP-Installationen, liegt aber auch signifikant unter den Vergleichswerten aus 2018. Und dies, obwohl die Software in vielen relevanten Punkten wie der „Ergonomie“, „Mobilen Einsetzbarkeit“ oder auch der „Internationalität“ sogar positiv heraussticht.
Ganz unerwartet kommt das schlechtere Abschneiden für IFS Applications im Jahr 2020 aber auch nicht, sondern folgt bekannten Wirkmustern: So treibt die IFS die Umstellung der Installationen auf IFS Applications 10 voran. Durch die neue Technologie soll zukünftig der Betriebsaufwand spürbar reduziert werden. Zunächst nehmen aber viele Kunden den damit einhergehenden Release-Wechsel als erhebliche Belastung wahr. Auch hat die IFS auf Kapazitätsengpässe der letzten Jahre zuletzt mit Umstrukturierungen der Consulting-Organisation reagiert, um zu-künftig flexibler agieren zu können.
Auch wurden vermehrt Services über Partner angeboten. Derartige Umstellungen sind zwar oft notwendig und sinnvoll, belasten aber erfahrungsgemäß zunächst die Kundenbeziehungen, da viele etablierte – oft gewachsene und informelle – Kommunikations-kanäle zwischen Anbieter und Kunden wegfallen.
Anwender-Trends
Lauscht man den Prognosen insbesondere der großen internationalen Anbieter, dreht sich alles um Digitalisierung, Cloud und Künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren. Doch die Gewichtung der Themen sieht in den rund 2200 befragten Unternehmen etwas anders aus. Fragt man die Anwender, welche Themen und Trends, die im ERP-Umfeld eine Rolle spielen, sie sehen, halten ca. 60 Prozent der befragten Anwender die „Daten- bzw. Informationssicherheit“ für sehr relevant.
Die Einhaltung „Rechtlicher Vorgaben“ – z. B. GoBD, EU-DSGVO oder Branchenregularien wie die EU-Richtlinie 2011/62/EU zur Serialisierung im Pharmabereich – halten immerhin ca. 51 Prozent der Anwenderunternehmen für sehr relevant, wenn es um den Einsatz der ERP-Lösung geht.
Aus beiden Themenkreisen resultieren vor allem fachlich-funktionale Anforderungen, die durch die ERP-Software bedient werden müssen, sei es im Bereich der Zugriffssteuerung und des „Identity Management“, der rechtssicheren Archivierung von Auftrags- und Rechnungs-belegen, dem Nachweis der Gestattung zur Nutzung personenbezogener Daten oder der Verwaltung von Seriennummern in Verbindung mit Produktidentifikation GTIN/NTIN/PPN, Verfallsdatum sowie Chargennummern.
Auf den Plätzen folgen die Themen der „Software-Ergonomie“ (45 Prozent) und des „Mobilen ERP-Einsatzes“ (43 Prozent), bei denen es durchaus Schnittmengen wie das „Responsive Design“ gibt, zumindest, wenn es um die Bedienung der ERP-Lösung über mobile Endgeräte wie Smartphone oder Tablet geht. Auch im Zusammenhang mit der Mobilen Nutzung von ERP-Software spielt ein weiterer Trend eine große Rolle: Die „Echtzeitübertragung mobiler Daten“ (41 Prozent).
Dabei geht es zum einen sicherlich auch um den performanten Einsatz der ERP-Software in mobilen Anwendungsszenarien. Noch wichtiger ist aber sicherlich die Möglichkeit, Zustands- und Steuerungsdaten in Echtzeit im Rahmen der Auftragsabwicklung verarbeiten zu können.
Bewerkstelligt wird dies durch den Mobilfunkstandard 5G, der sich derzeit in der frühen Phase der Einführung befindet und dessen Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Datenübertragungsrate, die verfügbare Bandbreite sowie im Hinblick auf Verzögerungen bei der Datenübertragung (Latenzzeit) im Vergleich zum Vorgängerstandard 4G völlig neue Größenordnungen erreicht.
Der fortschreitenden Digitalisierung in den Unternehmen ist die recht große Bedeutung zuzuschreiben, die die befragten Unternehmen dem Schnittstellenmanagement (auch Enterprise Application Integration) beimessen (ca. 40 Prozent). Die aktuelle Studie zeigt deutlich, dass sich der ERP-Einsatz auf eine Vielzahl betrieblicher Aufgaben erstreckt. Insofern leistet die ERP-Software einen massgeblichen Beitrag zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen.
Der Trend hin zu neuen Angeboten von datengetriebenen Dienstleistungen (sog. „Smart Services“) findet offenbar auch im ERP-Umfeld seinen Niederschlag: Er ist immerhin für 38 Prozent der Studienteilnehmer sehr relevant.
Hintergrund kann unter anderem sein, dass sich Geschäftsmodelle bei Smart Services oft deutlich vom angestammten Geschäft unterscheiden. Anstatt des Verkaufs von Maschinen wird dann z. B. „Verfügbarkeit“ oder „Produktivität“ verkauft und nach Leistung abgerechnet.
Oder es wird ein Service zur Optimierung von Dispositionsparametern per Abonnement oder gar anteilig nach den erzielten Optimierungseffekten verrechnet. Da ERP-Software oft auf bestimmte Auftragsabwicklungslogiken zugeschnitten ist, stellen derartige Veränderungen viele ERP-Lösungen vor Herausforderungen.
Mit jeweils unter 30 Prozent landen Trends wie die „Augmented/Virtual Reality“ (z. B. Einsatz von Datenbrillen in der Kommissionierung oder auch bei Montage, Wartung und Instandsetzung), „Robotic Process Automation“ (Integration von Software-Anwendungen über die Bedieneroberfläche in Verbindung mit der Automatisierung von Datenverarbeitungsschritten mittels Makrotechnologien) und auch der Einsatz der „Künstlichen Intelligenz“ am Ende der Liste mit relevanten Trends im ERP-Umfeld.
Für einige Themen mag die eingeschränkte Relevanz auch damit zusammenhängen, dass den Studienteilnehmern die Begriffe nicht geläufig sind. Mit einem Anteil von jeweils gut 10 Prozent gilt dies insbesondere für das „Internet der Dinge (IoT)“, „Robotic Process Automation“ und das „Business Process Mining“.
Industrie 4.0
Dabei sind Industrie 4.0 und Internet-of-Things (IoT)-Anwendungen zum wichtigen Teil der digitalen Transformation der Wirtschaft avanciert und sind maßgeblich daran beteiligt, aus einem traditionellen Fertigungsbetrieb eine intelligente Fabrik zu machen. Die Motivation für das Streben nach der Smart Factory ist klar: höchste Effizienz bei maximaler Flexibilität, „Losgröße 1“ auf Kostenniveau der Serienfertigung. Branchenverbände, Forschungseinrichtungen und Beratungshäuser prognostizieren markante Konsequenzen von Industrie 4.0 für die nächsten zehn Jahre – also bis hin zur Produktion 2030:
- Zusätzliche Wertschöpfungspotenziale im hohen zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich,
- massive Rationalisierungseffekte durch die Automatisierung von Wissensarbeit sowie
- eine drastisch steigende, für Umwälzungen sorgende „Kollaborationsproduktivität“.
Vergleicht man diese Erwartungen an Industrie 4.0 allerdings mit der aktuellen Situation in den meisten Fertigungsunternehmen, dann zeigt sich, dass die Mehrzahl noch mehr oder weniger intensiv mit den Herausforderungen der „herkömmlichen“ Digitalisierung beschäftigt ist. Zum Beispiel haben derzeit nur wenige Unternehmen ihre Geschäftsprozesse vollständig mit Software-Anwendungen unterlegt und ihre Business-Abläufe komplett verzahnt. Auch ist man in puncto durchgängig digitalisierter Datenerfassung noch nicht sehr weit – bei knapp 20 Prozent der Unternehmen werden Daten ausschließlich manuell erfasst.
Insofern ist es für die meisten Unternehmen sicherlich ein langer Weg in Richtung Industrie 4.0. Ein Weg, der gravierende Veränderungen mit sich bringt: im Hinblick auf die Geschäftsprozesse, die eingesetzten IT-Werkzeuge, die Art, mit diesen Werkzeugen umzugehen, aber auch miteinander zu arbeiten.
Für einen Teil der Unternehmen bedeutet dies sogar, dass die Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen das Geschäftsmodell massiv verändert. Mithin ein Set an Anforderungen, das sich als Mammutaufgabe darstellt, zu dem es nach Einschätzung der überwältigenden Mehrheit der Entscheidungsträger in den Companies aber keine Alternative gibt.
Positiv gestimmt ist der Branchenverband Bitkom. Die Digitalisierung der Industrieunternehmen in Deutschland macht Fortschritte. Fast 6 von 10 Industrieunternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern in Deutschland (59 Prozent) nutzen spezielle Anwendungen aus dem Bereich Industrie 4.0. Vor zwei Jahren waren es erst 49 Prozent. Zugleich hat sich der Anteil der Unternehmen, für die Industrie 4.0 gar kein Thema ist, seit 2018 von 9 Prozent auf 1 Prozent verringert.
Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie zur Digitalisierung der deutschen Industrie im Auf-trag des Digitalverbands Bitkom, für die 552 Industrieunternehmen ab 100 Mitarbeitern von Mitte Februar bis Anfang April 2020 befragt wurden. Demnach planen aktuell weitere 22 Prozent konkret den Einsatz spezieller Anwendungen für Industrie 4.0 – 17 Prozent können sich vorstellen, dies in Zukunft zu tun.
94 Prozent sehen der Studie zufolge in der Industrie 4.0 die Voraussetzung für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Mehr als jeder Zweite (55 Prozent) betont, Industrie 4.0 gebe dem eigenen Geschäft generell neu-en Schub. Insgesamt sieht eine überwältigende Mehrheit von 93 Prozent der Industrieunternehmen Industrie 4.0 als Chance – und nur 5 Prozent als Risiko.
Plattformökonomie
Bei fast drei Viertel (73 Prozent) der deutschen Industrieunternehmen werden im Zuge von Industrie 4.0 nicht nur einzelne Abläufe oder Prozesse verändert, sondern ganze Geschäftsmodelle – eine deutliche Zunahme seit 2018, wo es noch 59 Prozent waren. Etwas mehr als jedes zweite Unternehmen (51 Prozent) entwickelt neue Produkte und Dienstleistungen oder plant dies (2018: 39 Prozent). Jedes Vierte (26 Prozent) verändert bestehende Produkte oder hat dies vor (2018: 18 Prozent). 28 Prozent nehmen bisherige Produkte und Dienstleistungen sogar ganz vom Markt (2018: 20 Prozent).
Die Mehrheit der Industrieunternehmen, die neue Produkte und Dienstleistungen im Zuge von Industrie 4.0 entwickeln, setzt dabei auf Plattformen: 88 Prozent entwickeln digitale Plattformen neu oder weiter oder beteiligen sich daran. Auf ihnen können Produkte oder Services vertrieben oder auch Kunden mit Lieferanten vernetzt werden. 45 Prozent haben sogenannte Pay-Per-Use- oder Production-as-a-Service-Modelle eingeführt: Damit verkauft etwa ein Maschinenbauer keine Maschinen mehr, sondern vielmehr Produktionskapazitäten, je nach Bedarf des Kunden.
18 Prozent der befragten Unternehmen, in denen neue Produkte und Dienstleistungen im Zuge von Industrie 4.0 entwickelt oder geplant werden, setzen auf datenbasierte Geschäftsmodelle, verkaufen also Produkt- und Produktionsdaten oder bieten aufbauend darauf neue Dienste an, etwa um Qualität und Handhabung eines Produkts zu verbessern. Allerdings wirken die neuen Geschäftsmodelle aktuell nur zu einem kleinen Teil disruptiv: Bei 3 Prozent der betreffenden Unternehmen wurden bisherige Geschäftsmodelle komplett abgelöst. Bei einer Mehrheit von 77 Prozent existieren neue und alte Geschäftsmodelle vorerst noch nebeneinander.
Cloud noch im Trend?
Die Relevanz des Cloud-Computing erfährt aus zwei Richtungen Antrieb: Zum einen drücken gerade große ERP-Hersteller ihr ERP-Angebot mit Vehemenz in Richtung Cloud. Motivation sind hier u. a. eine Verstetigung und Steigerung von Erlösen, eine deutlich höhere Kundenbindung und eine deutlich höhere Skalierbarkeit des Geschäftes.
Aber auch auf der Anwenderseite steigt die Akzeptanz und der Bedarf für „ERP aus der Cloud“. So bieten Cloud-Lösungen gerade kleineren Unternehmen, die oft über wenig eigene Ressourcen für den IT-Betrieb verfügen, einen relativ schlanken Einstieg in die Nutzung leistungsfähiger ERP-Lösungen. Und Unternehmen mit komplexeren Strukturen (Größe, Standorte/Niederlassungen und/oder Internationalität) schätzen die geringere Komplexität der zu betreibenden ERP-Infrastruktur in Verbindung mit einem deutlich höheren Maß an Standardisierung und technischer, wirtschaftlicher sowie oft auch regionaler Skalierbarkeit des Cloud-Betriebs.
Insbesondere Microsoft und SAP drängen die Anwender in die Cloud, die Bestandskunden sollen auf das neue Betriebs-modell setzen und immer die neueste Version im Einsatz haben. Eine deutliche Veränderung zum aktuellen Status wäre dies, ist doch aktuell der letzte Release-Wechsel gut vier Jahre her und die Erstinstallation der eingesetzten Software erfolgte vor mehr als 11 Jahren. Der neue Rhythmus, den beispielsweise Microsoft mit mindestens halbjährlichen Updates für die Cloud-Version vorgibt, wird nicht nur die Anwender in eine permanente Einsatzbereitschaft versetzen, sondern auch Partnerkapazitäten binden.
Ohne Cloud-Anwendungen wer-den keine innovativen IT-Anwendungen möglich sein, darin sind sich die Marktbeobachter einig. Die großen Anbieter – Hyperscaler genannt – wie Alibaba, Amazon Web Services (AWS), Google, IBM, Microsoft, Oracle und SAP arbeiten mit Hochdruck an möglichst umfassenden Ökosystemen, auf deren Basis sie Anwenderunternehmen ihre Cloud-basierten Services anbieten. IDC geht beispielsweise davon aus, dass 70 Prozent der Produktionsunternehmen im Jahr 2022 Cloud-basierte Innovationsplattformen und Marktplätze nutzen, um industrieübergreifend und gemeinsam mit Kunden neue Produkte und Services zu entwickeln, die für die Hälfte der Neuentwicklungen stehen. Für die IT bedeutet diese Entwicklung, dass analytische Daten über den Produkt- und Asset-Lebenszyklus essenziell werden und entsprechend generiert, aber auch verwendet werden müssen.
Für das kommende Jahr prognostiziert IDC, dass mehr als 90 Prozent der weltweiten Firmen eine Mischung aus On-Premise, Private-Cloud-, mehrere Public-Cloud-Lösungen und Altsystemen im Einsatz haben werden, um die IT-Infrastruktur-Anforderungen abdecken zu können. Für das Jahr 2025 rechnet IDC mit einer Konsolidierung der Systeme, entsprechend fließen 60 Prozent der IT-Infrastrukturausgaben in Public-Cloud-Anwendungen und ein Viertel der IT-Anwendungen basieren auf Public-Cloud-Services. Auch die Hyperscaler werden diese Konsolidierung zu spüren bekommen. Laut IDC Prognose schon 2023, denn dann vereinen die Top 5 Public-Cloud-Angebote 75 Prozent des Marktvolumens auf sich.
Konsolidierung angestrebt
Ziel der Anbieter ist es, anwendungsübergreifende Funktionalität beispielsweise über die ERP-Plattform standardisiert und identisch zur Verfügung stellen zu können. Denn dann werden Services zur Verfügung gestellt werden können, die Geschäftsprozesse durch Workflows bereitstellen. Eine Charakteristik solcher Plattformen ist eine sogenannte Low-Code-Entwicklung, die es Anwendern ermöglicht, funktionale Erweiterungen ihres ERP-Systems selbst vorzunehmen, ohne großen Entwicklungsaufwand betreiben zu müssen. Microsofts Power Automate (ehemals Flow) und Power Apps-Angebote gehören in diese Kategorie der Anwendungen.
Es ist davon auszugehen, dass Anwender solche Angebote honorieren, die einen vermeintlich einfachen Weg zur funktionalen Erweiterung der ERP-Systeme anbieten. Damit einher geht der Trend der Plug-and-Play-Software-Anbindung – eine möglichst einfache Verbindung der unterschiedlichen Anwendungen innerhalb eines Unternehmens. Wenn diese Anwendungen auf einer gemeinsamen Plattform basieren und beispielsweise das identische Datenmodell und die gleiche Geschäftslogik nutzen, ist die Integration deutlich einfacher herzustellen und zu pflegen.
Dr. Karsten Sontow ist Vorstand (Vors.) der Trovarit AG.