Diskussion um Künstliche Intelligenz:Kundenversprechen hinterfragen und auf individuelle Anforderungen fokussieren
21. August 2019Die Künstliche Intelligenz (KI) gilt als eines der Trendthemen schlechthin. Geht es um konkrete Geschäftsvorteile und Einsatzmöglichkeiten, fragt sich so mancher: Was bedeutet KI eigentlich genau, und was bringt sie wirklich? ERP-Experten warnen in diesem Zusammenhang: KI werde zwar oft als Allheilmittel angepriesen, bislang würden aber nur Standardlösungen eingesetzt, die für Marketingzwecke einen KI-Anstrich erhielten. Dies habe mit dem eigentlichen „Nutzwert“, dem Deep Learning, das sich beispielsweise in Sprach-, Verhaltens- oder Gesichtserkennung finde, nichts zu tun. Das Problem: Unternehmen mangelt es heute noch an fundierten Datenverarbeitungsmöglichkeiten, um derartige Verhaltensmuster effektiv zu analysieren.
Wichtig ist daher vor allem eine deutliche Abgrenzung der Begriffe Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Deep Learning. Godelef Kühl, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Godesys AG, erläutert: „Künstliche Intelligenz bedeutet letztendlich, dass ein Computer in der Lage ist, menschliche Intelligenz nachzuahmen und eine Entscheidung zu treffen. Im ERP-Bereich ist das schon sehr lange möglich.“ Dazu nennt er auch ein Beispiel: „Aufgrund von Lagerdaten und Absatzzahlen lässt sich im ERP genau vorhersagen, welches Produkt nachbestellt werden muss. Dies manuell zu erledigen, ist bei riesigen Produktmengen ein enormer Aufwand, den der Computer abnimmt. Die Kernkompetenz von ERP ist so betrachtet künstliche Intelligenz.“ Entsprechend könne immer dann von KI gesprochen werden, wenn ein Computer einen Algorithmus verarbeite und zu einem Ergebnis komme.
Einen Schritt weiter geht nach seiner Ansicht das Maschinelle Lernen, bei dem Entscheidungen auf Algorithmen sowie Erfahrungen basieren. Hierbei werden Stochastik und historische Daten benötigt, die ebenfalls bereits seit vielen Jahren zum Einsatz kommen. Dazu passt das Beispiel Lagerverwaltung: Hier lassen sich mithilfe von Algorithmen und historischen Daten Trendprognosen aufstellen, etwa dazu, wie sich der Absatz entwickeln wird.
Künstliche Intelligenz, die über diese Möglichkeiten hinaus geht, umfasst hingegen Funktionen des Deep Learnings: Dieses „vertiefte Lernen“ bedeutet, dass Maschinen auf Basis eines neuronalen Netzes eigenständig trainieren und zu Ergebnissen kommen, die nicht im Ursprungsalgorithmus einprogrammiert waren. Beispiele sind Gesichts- oder Spracherkennung. „Für dieses Deep Learning gibt es in derzeitigen ERP-Systemen aber noch keine wirklich funktionierenden Ansätze“, erklärt Kühl. Zwar seien beispielsweise Chatbots in Verbindung mit dem ERP durchaus möglich, aktuell vielerorts aber zu kosten- und datenintensiv. Sie würden keinen ausreichenden Effizienzgewinn bieten, sodass sie insbesondere für den Mittelstand keine wirklich realisierbare Option darstellten.
Dennoch würden viele große ERP-Anbieter derzeit mit neuen KI-Services werben. „Diese Funktionen sind alles andere als neu. ERP-Lösungen bekommen einen KI-Anstrich, auch wenn sie immer schon mit Algorithmen gearbeitet haben. Mit wirklicher KI, also Deep Learning, hat das nichts zu tun“, warnt Kühl. Es mache keinen Sinn, einem Hype hinterherzujagen, wenn nicht klar sei, wo der Nutzen für das eigene Unternehmen liegen könnte. „Wer eine Geschäftssoftware oder andere computergestützte Verfahren einsetzt, kann sich entspannt zurücklehnen, denn das ist im weitesten Sinne ja bereits KI.“
Datenstrategie zentrale Basis fundierter Entscheidungen
Basis der KI, beziehungsweise des Deep Learnings, sind Milliarden von Datensätzen. Das Problem: In den meisten ERP-Anwendungen sind Nutzer ohne tieferes IT-Verständnis nicht in der Lage, Verhaltensmuster analysieren zu können, weil sich Daten nicht effizient genug handhaben lassen. Die Aufgabe: Unternehmen müssen zunächst ihre spezifischen Anforderungen und Ziele definieren. Im Anschluss gilt es, eine Lösung für das Datenmanagement zu finden.
Dazu eignet sich das Beispiel des Digitalmarketings: Hier lässt sich heute bereits ohne Weiteres messen, wer wann und wie lange eine Webseite besucht und was bestellt. Nur die wenigsten Unternehmen nutzen diese Informationen aber im Zusammenspiel mit ihrem ERP. Es sind daher neue Ansätze für Umgang, Analyse und Verknüpfung von Daten notwendig, ehe KI sinnvoll und realisierbar ist. Welche Daten sind geschäftsrelevant? Wie sollen diese vorgehalten und gekoppelt werden? Hierbei leistet das ERP wertvolle Unterstützung. Routenplanung oder Sprachintelligenz sind Beispiele, wie sich das ERP in einem weiteren Schritt intelligent erweitern ließe – wenn die richtigen Voraussetzungen geschaffen sind.
Trotz aller Bedenken sieht man auch bei Godesys ein großes Potenzial in fundierter künstlicher Intelligenz. So beteiligt sich das Unternehmen am Studienprojekt DeepScan der Universität Würzburg, das die Aufdeckung von Sicherheitsvorfällen in ERP-Datenbanken mithilfe Maschinellen Lernens untersucht. Allerdings gibt der Software-Experte zu bedenken, dass Ansätze wie diese noch in der Erprobungsphase seien und es im ERP-Umfeld derzeit keine Deep Learning-Anwendung gebe, die bereits wirkliche Wettbewerbsvorteile beinhalte.
„Hierfür sind einfach noch keine ausreichenden Datenmengen und Datenmuster vorhanden. Deep Learning ohne den Willen, betriebliche Daten zu teilen, führt zu bescheidenen Ergebnissen“, sagt Kühl. Solange Firmen nicht strukturiert daran arbeiten, ihre Kunden- oder Produktdaten kontrolliert zur Verfügung zu stellen, könne Deep Learning, also KI, sein Potenzial nicht entfalten. „Erstaunlicherweise sind das zumeist die gleichen Kunden, die ohne Bedenken auf amerikanische Cloud-Plattformen setzen und KI-Dienste bedenkenlos konsumieren. Hier muss der Mittelstand noch viel lernen.“ Daher gilt bei allen ERP-Angeboten – egal, ob sich diese mit KI schmücken oder nicht: Unternehmen sollten stets genau überlegen, was sie wirklich benötigen und wo sich Marketing-Botschaften als heiße Luft entlarven lassen. (rhh)