Im Interview: Matthias Thurner, Chief Product Officer bei Unit4„Volatile Geschäftslagen fordern agiles Umplanen“

5. Oktober 2020

Die negativen Auswirkungen durch die Pandemie haben nicht alle Branchen gleich abbekommen. Die „Professional Services Organizations“ (PSO), also Unternehmen, die professionelle Dienstleistung an ihre Auftraggeber abliefern, waren nur unterdurchschnittlich von den Einschränkungen betroffen. Im Interview mit line-of.biz (LoB) verdeutlicht Matthias Thurner, Chief Product Officer bei Unit4, mit welchen IT-Werkzeugen sich die geänderten Anforderungen am besten abdecken lassen.

LoB: Bei Unit4 machen die PSO einen wichtigen Geschäftsanteil aus – wie hat sich die aktuelle Pandemie auf dieses Marktsegment ausgewirkt?
Thurner: In einigen Bereichen konnten diese Dienstleister sogar mehr Umsatz verzeichnen, weil viele Auftraggeber gesehen haben, dass zum Beispiel die IT-Ausstattung beziehungsweise sogar die IT-Strategie möglichst schnell aktualisiert werden müssen. Denn nur mit besonderen Anstrengungen ließen sich viele Projekte umsetzen, die in letzter Konsequenz sogar das Überleben der auftraggebenden Unternehmen absichern. Gezwungen von diesen neuartigen „Umgebungs-Parametern“ ist die Akzeptanz der Auftraggeber von „Remote Work“ entgegen der Vorgabe „Dienstleister und Berater müssen bei mir im Unternehmen sitzen, damit ich besser akzeptieren kann, was in Rechnung gestellt wird“ deutlich gestiegen.

LoB: Ist das eine vorübergehende Situation?
Thurner: Eher nicht, dieser Trend verfestigt sich und so stehen viele Dienstleister vor der Herausforderung, dass sie jetzt eine höhere Nachfrage bedienen müssen, als das vor dem Ausbruch der Pandemie der Fall war. Daher stehen sie unter Druck, denn um von der geänderten Auftragslage zu profitieren, müssen sie die Produktivität ihrer Mitarbeiter erhöhen und/oder zusätzliche Ressourcen einstellen. Die neue Realität hat zwar gezeigt, dass die Produktivität durch Remote-Arbeit beziehungsweise das Arbeiten von Mitarbeitern aus dem Homeoffice tendenziell steigt. Aber es sollte zudem eine effektive und weitgehend automatisierte IT-Umgebung zum Einsatz kommen, um die verwaltungstechnischen Aufgaben – böse Zungen betiteln sie als Overhead – auf ein Minimum reduzieren zu können.

LoB: Was macht eine effektive IT-Umgebung aus?
Thurner: Dazu zählen verschiedene Basistechnologien – die netzwerktechnische Anbindung, sicherheitstechnische Vorkehrungen einschließlich ausfallsicherer Mechanismen – sie alle gehören zur optimalen Kombination. Doch mindestens genauso wichtig sind die passenden Tools für die Dienstleister: Kernapplikationen, wie etwa ein für den PSO-Bereich optimiertes ERP-System, müssen einfach und intuitiv nutzbar sein. Das betrifft vor allem die Oberflächen: Sie sollten webbasiert sein und auch dann noch funktionieren, wenn die Anbindung nicht sonderlich gut ist, wie etwa in einem „anbindungstechnisch entlegenen Homeoffice“.

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Matthias Thurner, Chief Product Officer bei Unit4; Quelle: Unit4

LoB: Ist das schon alles?
Thurner: Nein, es kommt noch ein weiterer Punkt dazu: Die Art und Weise der Projektabwicklung ändert sich – und auf diesen Trend muss die Software eingehen können. Daher sollte die Projektmanagement-Unterstützung in einem ERP-System gegeben sein, um zum Beispiel Projektpläne schnell umsetzen zu können. Zudem haben sich auch Organisationsstrukturen und Workflows durch die Pandemie geändert. Mehr Remote Work erlaubt auch andersartige Projekte – zum Beispiel mehr internationale Zusammenarbeit. Da die Teammitglieder nicht mehr direkt zusammensitzen müssen, kann ein PSO auch Projekte mit internationalem Zuschnitt effektiv umsetzen, denn es wird wesentlich weniger Vor-Ort-Arbeit und Reiseaufwand anfallen. All das muss eine Software für Dienstleister unterstützen – in diesem Beispiel muss ein internationales Sourcing unterstützt werden.

LoB: Welche Rolle spielen anpassbare Workflows?
Thurner: Ein wesentlicher Aspekt für eine passende Software-Lösung ist neben der Unterstützung im Bereich der Workflows das Bereitstellen von hochwertigen Collaboration-Werkzeugen. Damit wird sichergestellt, dass trotz der räumlichen Trennung der Teams die einzelnen Mitarbeiter „nah an ihrer Truppe“ bleiben. Außer einer stabilen Collaboration-Technologie sind auch noch weitergehende Funktionalitäten gefragt. Denn die Teammanager sollten Stimmungen und Probleme in ihren Teams schnell mitbekommen – auch da kann Software helfen: So lässt sich zum Beispiel eine Talent Management Software einsetzen, um festzustellen, ob alles wie gewünscht läuft oder ob man eingreifen sollte.

LoB: Was sind weitere Bereiche, die eine gesteigerte Aufmerksamkeit verdienen?
Thurner: Vor allem die Planung – doch auch dazu gibt es geeignete Tools. In Zeiten einer volatilen geschäftlichen Umwelt ist ein Umplanen häufig nötig, denn Unternehmen müssen sich an eventuelle Veränderungen anpassen. Ein gutes Beispiel ist die räumliche Bürosituation: Viele Unternehmen werden aufgrund des Trends zum Homeoffice künftig mit weniger Büroflächen auskommen. Dies sollte in die Planung mit einfließen, etwa bei anstehenden Mietvertragsverhältnissen. Somit können die eingesparten finanziellen Ressourcen für andere wichtige Investitionen genutzt werden.

LoB: Welche Vorteile lassen sich damit erzielen?
Thurner: Vor allem auf die „Was-wäre-wenn-Analysen“ kommt es dabei an: In einer Krise wie der aktuellen Pandemie weiß man nicht, wie die weitere Entwicklung aussieht. Daher sollten die Verantwortlichen dringend verschiedene Szenarien durchspielen, so dass sie für die meisten Entwicklungen bestmöglich vorbereitet sind.

LoB: Wie können „Assistenten im ERP“ die Anwender unterstützen?
Thurner: Mit Wanda haben wir bei Unit4 einen Assistenten konzipiert, der „natürlichsprachig“ funktioniert: Damit wird ein grafisches und conversational Interface miteinander kombiniert.

LoB: Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, wie das aussieht?
Thurner: Wanda könnte zum Beispiel um 10:00 Uhr morgens einen Hinweis darauf geben, dass fünf Rechnungen mit einem Wert von mehr als 10.000 Euro vorliegen, die laut Firmenrichtlinie nochmals händisch freigegeben werden müssen. Der Anwender ist in der Lage, diesem Hinweis nachzugehen und die nötigen Aktionen auszulösen. Dazu kann er einen sprachlichen Auftrag an Wanda absetzen, sie möge doch die letzten drei Rechnungen eines Geschäftspartners auf dem Bildschirm anzeigen, ehe er die finale Freigabe gibt. Über KI-gestützte Funktionen sind vorher bereits Prüfungen zu dieser Rechnung anlaufen, etwa ob es einen Auftrag zu dieser Rechnung gibt, ob die Werte stimmen, etc.

LoB: Wie wichtig erachten Sie den Einsatz von KI?
Thurner: Generell lautet die Devise bei Unit4: KI-Basistechnologie ist verfügbar und ausgereift. Mittlerweile werden verschiedene Frameworks von großen Playern – IBM, Google, Amazon, Microsoft – aber auch als Opensource-Projekte angeboten. Sie bieten alle ein in etwa vergleichbares Spektrum an Funktionalität. Interessanter wird es dagegen, wenn es um den speziellen Use Case geht, bei dem KI zum Einsatz kommen soll. Dabei steht im Mittelpunkt, einen möglichst hohen Automatisierungsgrad in Kombination mit möglichst hoher Qualität der Ergebnisse für eine bestimmte Aufgabe zu erreichen. Das Definieren und Umsetzen der passenden Use Cases ist daher die weitaus größere Herausforderung.

LoB: Automatisierung wird im ERP-Umfeld favorisiert – wie stehen Sie dazu?
Thurner: Automatisierung, bei Unit4 Smart Automation genannt, ist eine wichtige Komponente moderner ERP-Systeme. Hier kommt als eine unter mehreren Technologien KI zum Einsatz, zum Beispiel beim automatisierten Forecasting: Wir bei Unit4 bieten ein Deep Learning basiertes Forecasting, bei dem man beliebige Daten miteinbeziehen kann, ohne dass man ein Data Science Spezialist sein müsste. Diese Daten werden in das Modell gefüttert, unsere Software lernt daraus und dann werden die Forecasts erstellt. Diese werden dann mit Hilfe ausgewählter historischer Daten auf ihre Qualität geprüft. Wenn durch das Hinzufügen spezifischer Daten die Forecasts besser oder auch schlechter werden, kann man auch ohne besonderes Data Science Wissen Forecast-Modelle optimieren. Im Endeffekt erlaubt dieser Ansatz bessere Prognosen mit viel weniger Aufwand. (rhh)

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